Der "Terrorpate" im Nahen Osten: Wo der Iran überall Milizen unterstützt
Zwei ihrer riesigen Flugzeugträger haben die USA ins östliche Mittelmeer geschickt. Eine unmissverständliche Warnung an den Iran und die von ihm unterstützte libanesische Hisbollah-Miliz: Wehe dem, der sich an der Seite der Hamas gegen Israel stellt und angreift. „Wenn die USA demonstrieren, dass sie bereit wären, Israel zu unterstützen, kann das schon eine abschreckende Wirkung gegenüber dem Iran haben“, erklärt Walter Feichtinger, Politikwissenschafter, ehemals Bundesheer-Brigadier und jetzt Leiter des Centers für strategische Analysen.
Doch würde der Mullah-Staat, der Todfeind Israels, losschlagen, wenn Israel seine Bodenoffensive beginnt? Wenn mit vielen palästinensischen Opfern zu rechnen ist?
Maximale Provokation
Teheran wisse sehr wohl, dass Israel mit den USA die wichtigste Militärmacht der Welt hinter sich habe, sagt Iran-Experte Walter Posch. „Und die derzeitige Führungsriege weiß auch, was Bombenkriege bedeuten. Sie hat die Raketen aus dem Irak erlebt.“ Die Gefahr, sich direkt in den Krieg gegen Israel einzumischen, dürfte der Iran nach Expertenmeinung also scheuen. So sehr Irans Führer den Terrorschlag der Hamas mit mehr als 1.400 Toten auf israelischer Seite bejubelten, so minimal halten sie ihr eigenes Risiko. Für den Gottesstaat wäre strategisch nichts zu gewinnen – nur Zerstörung, möglicherweise sogar der Verlust der eigenen Macht.
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Der Iran hat über Jahrzehnte eine „Achse des Widerstandes“ aufgebaut. Widerstand gegen den „großen Teufel USA“ und gegen den „kleineren Teufel Israel“. „Die Positionierung gegen Israel ist in der ideologischen DNA des Regimes in Teheran“, sagt Walter Posch. Und bei diesem Ziel, der Vernichtung Israels, ziehen alle vom Iran unterstützten Gruppen und Terrororganisationen an einem Strang.
Grausame Handlanger
Unzählige Terroranschläge haben die Kämpfer des Islamischen Dschihad (Gaza), der Hamas, der Iran-gesteuerten Milizen im Irak oder in Syrien, an Zielen in aller Welt verübt.
In Buenos Aires wurden 1994 beim Attentat auf das jüdische Gemeindezentrum fast 90 Menschen getötet. Im Irak ist das iranische Regime seit 2003 für den Tod von mindestens 600 amerikanischen Soldaten verantwortlich. Hinzu kommen noch viele Tausend Iraker, die von Stellvertretern der iranischen Islamischen Revolutionsgarden getötet wurden.
Seinen mächtigsten militärischen Arm im Ausland hat der Iran im Libanon aufgebaut. Die schiitische Hisbollah-Miliz soll über mehr als 150.000 präzisionsgesteuerte Raketen verfügen. Sie alle sind gegen Israel gerichtet. Abgesehen von vereinzelten Abschüssen ist der große Angriff auf den Feind Israel bisher ausgeblieben. Doch könnte er noch kommen, wenn Israel in aller Härte im Gazastreifen vorgeht?
"Die Hisbollah hat ihr eigenes Kalkül"
„Die Hisbollah hat ihr eigenes Kalkül“, sagt Walter Feichtinger. Und das bedeute vor allem, ihre eigenen politischen und militärischen Ziele im Libanon zu behalten – und nicht durch einen Krieg mit Israel aufs Spiel zu setzen. Dass der Iran die Hisbollah wiederum an seiner Stelle in dem Kampf gegen Israel treibt, glaubt der Experte ebenfalls nicht. „Die Hisbollah lässt sich sicher nichts aus Teheran befehlen.“
Das einstige Geschöpf aus der Terrorfabrik Iran ist längst selbstständig geworden. Zwar fließen nach wie vor Millionen Dollar aus Teheran in den schiitischen Machtbereich der Hisbollah, doch in ihrem Vorgehen gegenüber Israel agiert sie eigenständig.
Und auch was den jüngsten Terror der radikal-islamischen Hamas gegen Israel angeht, so dürfte der Befehl nicht aus Teheran gekommen sein, meint der Iran-Experte Posch. Denn auch, wenn die Iraner weiterhin Waffen und Expertise an die Terrororganisation liefern, habe sich die Beziehung in den vergangenen 20 Jahren verkompliziert: „Die Hamas hat gute Beziehungen zur Türkei, braucht daher den Iran nicht mehr so dringend.“
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Wo der Iran Milizen und Terrorgruppen unterstützt - ein Überblick:
Seit mehr als einem halben Jahrhundert hat der Iran eine „Achse des Widerstandes“ gebaut, ein Netz an Milizen und Terrorgruppen von Gaza bis Syrien, vom Irak über Bahrain bis hin zum Jemen errichtet und unterstützt. Das gemeinsame Ziel: die Vernichtung Israels. Über die Milizen sicherte sich der Iran aber auch regionalen Einfluss – und Positionierung gegenüber Saudi-Arabien.
Seit der Islamischen Revolution 1979, als Ayatollah Khomeini den Schah stürzte, träumen die Machthaber im Iran vom Export ihrer Staatsdoktrin in den gesamten Nahen Osten: Die Islamische Revolution soll in die Welt getragen werden – die von Teheran unterstützten Milizen und Terrororganisationen sind das Vehikel dafür. Demonstrativ stellt sich der schiitische Iran dabei hinter die radikal-islamischen sunnitischen Palästinensergruppen im Gazastreifen: die Hamas und den Islamischen Dschihad. So versuche sich der Iran seit Jahrzehnten in der Region „Legitimation zu verschaffen“, meint Iran-Experte Walter Posch.
1. Hamas - Gazastreifen
Hamas bedeutet „Eifer“, ist jedoch auch ein Akronym für „Islamische Widerstandsbewegung“ (Harakat al-Muqawamat al-Islamiyya). Die sunnitische Hamas will die vollständige Zerstörung des Staates Israel – stattdessen soll der Islamische Staat Palästina errichtet werden. Gegründet wurde sie 1987, sie ging aus einem Zweig der Muslimbruderschaft hervor. Die Hamas besteht aus einem politischen, einem sozialen sowie einem bewaffneten Zweig, den Essedin-al-Kassam-Brigaden. Sie beherrscht den Gazastreifen, Kritik oder Widerstand wird brutal unterdrückt.
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Von 1992 an hat der schiitische Iran die Hamas finanziell unterstützt. Schätzungen sprechen von – früher – bis zu 100 Millionen Dollar jährlich. Geschmuggelt wurden aus dem Iran erst Waffen, anschließend militärische Ausbildner, dann Technologie und Waffenbestandteile – sodass die Hamas seit einigen Jahren ihre Raketen selbst bauen kann. Sie soll über bis zu 40.000 Kämpfer verfügen, ihr Raketenarsenal wird auf etwa 15.000 Geschoße geschätzt.
2. Islamischer Dschihad - Gazastreifen
Der „Harakat al-Dschihad al-Islami fi Filastin“, eine extrem militante islamistische Gruppierung, wurde bereits 1979 von zwei ehemaligen palästinensischen Moslembrüdern gegründet. Ziel: die Vernichtung Israels. Ihre Kämpfer der „Kuds-Brigaden“ waren in den 1990er-Jahren in Israel für zahlreiche Selbstmordattentate verantwortlich. Die Zahl dieser Angriffe sank stark, seit Israel 2002 seinen Sicherheitswall errichtete. Der „Islamische Dschihad“, der sich in Gaza schon mehrmals auch blutige Auseinandersetzungen mit der Hamas lieferte, wird international als Terrorgruppe eingestuft.
Seit Anfang der 80er-Jahre wird der Islamische Dschihad vom Iran unterstützt. Zuletzt soll er jährlich an die 30 Mio. Dollar erhalten haben. Wie bei der Hamas belieferte bzw. schmuggelte der Iran Waffen, Technologie und Ausbildner zur Gruppe. Der Islamische Dschihad verfügt über mehrere Tausend Kämpfer und ein Arsenal von mindestens 5.000 Raketen.
3. Hisbollah - Libanon
Die „Partei Gottes“ (Hisbollah) ist die größte aller Milizen, die der Iran im Ausland aufgebaut hat und weiter unterstützt. Gemeinsam mit ortsansässigen, libanesischen Schiiten wurde sie 1982 von Teheran gegründet. Anlass war der Widerstand gegen Israels Einmarsch in den Libanon. Anfangs verübten Hisbollah-Kämpfer weltweit Terrorangriffe wie etwa 1994 in Buenos Aires. Heute ist die Hisbollah die entscheidende Macht im Süden des Landes – als militärische und politische Kraft.
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Die Hisbollah ist heute die größte nicht-staatliche Armee der Welt, sie hat mindestens 30.000 Mann unter Waffen, andere Schätzungen reichen bis zu 100.000 Mann. Zudem soll sie über mindestens 150.000 präzisionsgesteuerte Raketen verfügen – alle mit Zielrichtung Israel. Bis zu 700 Millionen Dollar sollen jährlich vom Iran aus in die Kassen der Hisbollah geflossen sein, zuletzt wurde die Unterstützung weniger.
4. Al-Kuds-Einheiten - Syrien, Irak, Bahrain
Sie sind die ausländischen Arme der mächtigen Iranischen Revolutionsgarden – die Al-Kuds-Brigdaen. Dazu zählen etwa die Kata’ib Hisbollah und weitere Milizen im Irak, die Al-Ashtar-Brigaden in Bahrain und weitere terroristische Gruppen in Syrien und in der Golfregion. Diese Terrorgruppen werden vom Iran finanziell unterstützt – aber ebenso mit Ausrüstung, Schulungen, Technologietransfer, modernen konventionellen Waffen, Anleitung u. Anweisungen.
In Summe verfügen diese vom Iran finanzierten und gesteuerten Milizen über Zehntausende Kämpfer und über modernste militärische Ausrüstung. Besonders für den Einsatz in Syrien wurden auch Iraner rekrutiert. Dem Regime in Teheran liegt vor allem daran, den syrischen Machthaber Bashar al-Assad zu unterstützen und zu halten. Für Teheran meint Iran-Experte Walter Posch, „ist das oberste Priorität“.
Nachdem Assad aber zuletzt seine Macht stabilisiert hat, wurde der Einfluss des Iran wieder ein wenig zurückgedrängt.
5. Huthis - Jemen
Die schiitischen Huthis sind noch ein relativ junger Verbündeter des Iran. In ihrem Guerillakrieg gegen die Zentralmacht des Landes wurden sie zunächst von der libanesischen Hisbollah unterstützt, ehe sich Teheran seit 2011 an die Seite der Huthis stellte. Der Iran liefert seither schwere Waffen, Ausrüstung, Geld und Ausbildner für die Rebellenmiliz in das kriegsverwüstete, ärmste Land des arabischen Raumes.
Die militärische Huthi-Bewegung besteht aus einer Mischung aus verschiedenen Truppen. Etwa 60 Prozent sind übergelaufene Kämpfer der jemenitischen Armee, die Ex-Präsident Saleh diente. Ein kürzlich veröffentlichter Bericht geht von einer Truppenstärke zwischen 180.000 und 200.000 bewaffneten Kämpfern aus. Die Stärkung der Huthis durch den Iran war für Saudi-Arabien ein Grund, in den Krieg im Jemen zu intervenieren. Seither läuft im Jemen eine Art Stellvertreterkrieg zwischen dem Iran und Saudi-Arabien.
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