Keine Solidarität mit Palästinensern? Botschafter hält Österreichs Position für "extrem"

Der palästinensische Botschafter Salah Abdel Shafi fordert eine humanitäre Waffenpause für die Menschen in0 Gaza
Seit zehn Jahren lebt Salah Abdel Shafi als Botschafter Palästinas in Österreich. Immer wieder habe er versucht, erzählt der 61-jährige studierte Ökonom, zurück in seine Heimat Gaza zu gehen. Doch die ständigen Krisen hielten den perfekt deutsch sprechenden Palästinenser in der Diplomatie fest. Sie wie jetzt, in einer Krise, wie sie der Nahe Osten nach dem Terror der Hamas am 7. Oktober seit Jahrzehnten nicht mehr erlebt hat.
KURIER: Bundeskanzler Nehammer ist nach Israel geflogen, um dort seine Solidarität mit Israel auszudrücken. Erwarten Sie Solidarität auch für das palästinensische Volk?
Salah Abdel Shafi: Ich hätte mir gewünscht, dass der Kanzler Israel daran erinnert, dass sie als Besatzungsmacht auch das Völkerrecht und die Menschenrechte respektieren sollen, besonders das Prinzip der Verhältnismäßigkeit. Denn wir haben auch viele zivile Opfer zu beklagen.
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Binnen 24 Stunden sind in Gaza 700 Menschen umgekommen, darunter 300 Kinder. Und was ich mir noch von Nehammers Besuch erwartet hätte: Dass er auf eine politische Lösung drängt. Es ist genug der Kriege und und des Leidens auf beiden Seiten.
Sie fordern eine humanitäre Waffenpause, um die Bevölkerung in Gaza zu versorgen. Von Österreichs Regierung kommt diese Forderung hingegen nicht.
So eine Pause ist dringend notwendig, um das Notwendigste nach Gaza zu bringen für die Krankenhäuser, für die vielen Flüchtlinge. Man braucht Medikamente, Essen und Wasser. Und ja, Österreich fordert das nicht. Ich finde, Österreichs Position ist dieses Mal extrem.
Ich habe dafür überhaupt kein Verständnis, dass österreichische Politiker kein einziges Mal ein Wort der Empathie über die zivilen Opfer auf palästinensischer Seite verloren haben.
Was man in Österreich wiederum vermisst, ist eine klare Verurteilung des Hamas-Terrors auf palästinensischer Seite.
Meine Regierung sagt das tausend Mal: Wir sind gegen Gewalt. Wir sind für gewaltlosen Widerstand. Wir sind für Verhandlungen. Und wir sagen auch in Bezug auf die Ereignisse vom 7. Oktober: Jeder Angriff auf Zivilisten ist völkerrechtswidrig. Diejenigen, die Zivilisten angreifen, müssen gemäß Völkerrecht zur Rechenschaft gezogen werden.
Aber Sie wollen nicht das Wort „Hamas“ zusammen mit „verurteilen“ in einem Satz verwenden?
Wir haben die Hamas schon immer auch öffentlich kritisiert. Wir hatten große Meinungsverschiedenheiten, auch Kämpfe. Die Hamas hat den Gazastreifen mit Gewalt übernommen. Aber das ist eine interne palästinensische Sache.
Ich wundere mich nur, dass es im israelischen Parlament Parteien gibt, die die Existenz eines palästinensischen Volkes nicht anerkennen – und keiner verliert darüber ein Wort. Gestern hat ein Minister Maschinengewehre an Siedler verteilt. Er hat ihnen gesagt, dass sie ein palästinensisches Dorf, das von Siedlern überfallen wurde, hätten vernichten sollen. Also wenn das kein Terror ist.
Israel will die Hamas nach dem Terror des 7. Oktober nun endgültig vernichten. Wird das gelingen?
Was heißt denn das: die Hamas vernichten? Aus den jüngsten Ereignissen sind zwei Lehren zu ziehen: Die israelische Armee ist eine der stärksten Armeen der Welt. Und dennoch hat sie es nicht geschafft, die eigene Bevölkerung zu schützen.

Laut Hamas-Angaben soll es bereits mehr als 7.000 Todesopfer nach den israelischen Luftschlägen geben
Zweitens: Es gibt keine militärische Lösung für diesen Konflikt. Israel kann uns Palästinenser noch tausend Jahre lang bombardieren – Israel wird dennoch keine Sicherheit für die eigene Bevölkerung schaffen, solange wir Palästinenser nicht auch in Würde und Freiheit in unserem eigenen Staat neben dem Staat Israel leben können.
Deswegen sage ich: Wir brauchen endlich, endlich endlich eine politische Lösung.
Sie sprechen von einer Zweistaaten-Lösung?
Ja, wir brauchen das Rad nicht neu zu erfinden, um zu wissen, wie man dieses Problem löst. Die ganze Welt ist sich einig über die Zweistaatenlösung.
Dass es nie dazu kam, liegt ja auch an der Hamas. Sie leugnet das Existenzrecht Israels.
Wir, die Palästinensische Autonomiebehörde, haben von Anfang der 90er-Jahre an auf Verhandlungen gesetzt. Aber Israel hat seinen illegalen Siedlungsbau immer weiter vorangetrieben. Nach jahrzehntelangen Verhandlungen konnten wir keine Erfolge für unser Volk vorweisen. Im Gegenteil, es ging bergab. Das hat dazu geführt, dass sich die radikalen Kräfte gestärkt haben.
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Wenn es nun zu einer politischen Lösung kommen sollte, die endlich Stabilität in dieser Region schafft, dann werden alle diese Opfer nicht umsonst gewesen sein. Aber wenn es nun nach den Kampfhandlungen in Gaza 2009, 2012, 2014, 2021 und jetzt 2023 noch eine weitere Runde Krieg ohne Lösung gibt, haben die Menschen keine Hoffnung mehr.
Wie stehen Sie zu den pro-palästinensischen Demos in Österreich, wo teils antisemitische Parolen gerufen wurden?
Ich bin gegen die Verherrlichung von Terror, aber ich bin für Meinungsfreiheit.
Aber „from the river to the sea“, wie skandiert wurde, heißt doch, man leugnet das Existenzrecht Israels.
Das ist nicht meine Meinung. In Österreich darf man den Holocaust nicht leugnen. Zu Recht! Der Holocaust ist das größte Verbrechen der modernen Geschichte. Aber warum wird alles kriminalisiert, was mit Israel-Kritik zu tun hat?
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