So verläuft der Hightech-Wiederaufbau von Notre Dame
Exakt vor drei Jahren ging das Pariser Wahrzeichen in Flammen auf. Ehrgeizigiges Ziel von Präsident Macron: 2024 soll es in neuem Glanz erstrahlen.
15.04.22, 05:00
Aus Paris Simone Weiler
Wie das Entsetzen beschreiben, das Gaël Hamon empfand, als er die Flammen über Notre-Dame lodern sah? Als Rauch zwischen den Zwillingstürmen der Kathedrale und aus dem Dach aufstieg und sich der Himmel rosarot färbte. Irgendwann stürzte der hölzerne Vierungsturm, den der Architekt Eugène Viollet-le-Duc im 19. Jahrhundert hinzugefügt hatte, in die Tiefe und in Hamon, dem gelernten Steinmetz, stieg eine gewaltige Wut auf: „850 Jahre lang ist es gelungen, Notre-Dame zu erhalten. Und ausgerechnet meine Generation hat es zu verantworten, dass die Kathedrale brannte.“
Am schwerwiegendsten war die Zerstörung des „Waldes“ – so wurde der komplett verbrannte Dachstuhl aus 1.300 Eichenstämmen genannt, die teils aus dem zwölften Jahrhundert stammten. Ein historischer Kulturerbe-Schatz, für immer verloren. Für die Messen an den Osterfeiertagen, die bis dahin in der majestätischen Kathedrale stattfanden, muss die Diözese auch dieses Jahr wieder in die Kirche Saint-Sulpice ausweichen.
Was den Brand in der Nacht vom 15. auf den 16. April 2019 ausgelöst hat, bleibt weiterhin ungeklärt. Die Ermittlungen wegen fahrlässiger Brandstiftung laufen. War es ein glühender Zigarettenstummel von einem der zahlreichen Bauarbeiter, die tagsüber auf dem Dachstuhl im Einsatz waren? Oder hatte es irgendwo einen Kurzschluss gegeben?
„Es handelte sich um eine Verkettung unglücklicher Umstände“, sagt Hamon. „Aber es hätte nicht passieren dürfen.“
Seine Firma „Art Graphique & Patrimoine“ (AGP) verwendet modernste Technologie, um bei der Restaurierung und dem Wiederaufbau von Kulturerbe, meist alter Bauwerke, zu helfen. Sein Team macht mithilfe von Lasergrammetrie Farbscans mit Milliarden digitaler Punkte von allen Oberflächen eines Bauwerks. Auf Basis dieser Daten sowie anhand von Bildern des früheren Zustands entsteht ein „digitaler Zwilling“ des Gebäudes mit allen Maßen. Mit diesem arbeiten alle an der Baustelle beteiligten Akteure, von den Architekten bis zu den Bauunternehmen.
Noch in der Brandnacht rief Hamon seine Mitarbeiter zusammen, um die Firmen-Archive nach Fotos und Daten von Notre-Dame zu durchsuchen. Sie wurden fündig, und als am nächsten Tag der Präfekt von Paris anrief, um AGP mit dem Erstellen des „digitalen Zwillings“ zu beauftragen, legten sie sofort los. Kurz darauf fand sich Hamon zwischen den Trümmerhaufen in der Kathedrale wieder. Zeit, um emotional zu werden, hatte er nicht, erzählt der energische Firmenchef: „Es ging darum, es anzupacken!“ Mit Drohnen kartierten seine Leute jeden Winkel des in Mitleidenschaft gezogenen Monuments.
Zeitlichen Druck baute der französische Präsident Emmanuel Macron auf, der nach dem Brand versprach, Notre-Dame in nur fünf Jahren wieder aufzubauen – und zwar „noch schöner als vorher“. Experten äußerten sich skeptisch, doch offiziell bleibt es bei dem Ziel, dass Notre-Dame bis 2024, wenn in Paris die Olympischen Spiele stattfinden, wieder zugänglich sein soll.
Bis zum Jahr 2019 zog der Kirchenbau auf der Seine-Insel Île de la Cité jährlich bis zu 13 Millionen Besucher an. Nach dem Brand regnete es Spenden, und bis heute kamen insgesamt 842 Millionen Euro zusammen. Dennoch startete die Diözese nun einen neuen Spendenaufruf, denn die gesammelten Gelder würden nicht für die Restaurierung des Innenraums reichen.
Verantwortlich dafür seien die hohe Bleibelastung und die Corona-Pandemie, die die Baustelle mehrmals zum Stillstand brachte. Auch zog sich die Phase der Konsolidierung und Absicherung des Bauwerks hin. Sie ist seit Herbst abgeschlossen, sodass die Restaurierung beginnen konnte.
Kein moderner Touch
Sprach sich Macron zunächst für einen „zeitgenössischen Touch“ aus, so steht inzwischen fest, dass Notre-Dame genau wie vorher wieder aufgebaut werden soll. Das wollten sowohl die Kirchenvertreter als auch die Pariser. Von manchen Architektenbüros hervorgebrachte extravagante Ideen, wie ein Glasdach oder ein Dachgarten, setzten sich nicht durch.
Die Kathedrale Notre-Dame soll wieder ganz die alte werden. Auch dank modernster Technik.
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