Kritik an Wiederaufbau: "Notre-Dame darf nicht Disneyland werden"
In Paris streitet man über die Innenraumgestaltung von Notre-Dame. Kritiker haben einen offenen Brief an Macron unterzeichnet.
10.12.21, 05:00
Aus Paris Simone Weiler
Notre-Dame werde zu einer Art "Disneyland" verkommen. So lautet der scharf formulierte Vorwurf, den der bekannte Fernsehjournalist Stéphane Bern, Spezialist für Königshäuser und Kulturerbe, gegen die Diözese von Paris erhebt.
Gemeinsam mit rund 100 anderen Persönlichkeiten, darunter Kunsthistoriker oder Intellektuelle wie der Philosoph Alain Finkielkraut, veröffentlichte Bern einen offenen Brief, um die Pläne der Diözese hinsichtlich der künftigen Innengestaltung der Kathedrale scharf zu kritisieren. "Das, was der Brand verschont hat, will die Diözese zerstören", heißt es darin.
Macron für Modernisierung
Konkret wenden sich die Verfasser gegen eine geplante Videoprojektion von Bibelzitaten in verschiedenen Sprachen an den Wänden, die Einrichtung beweglicher und beleuchteter Bänke, die Umgestaltung des Wandschmucks in den Seitenkapellen und die Idee, alte Gemälde mit zeitgenössischen Werken "in einen Dialog treten zu lassen". So sieht es zumindest der am Donnerstag vom Zuständigen der Diözese, Gilles Drouin, vorgestellte Plan der nationalen Kommission für Kulturerbe und Architektur vor.
Bereits unmittelbar nach dem Brand am 15. April 2019 war ein Streit über die Frage ausgebrochen, ob das mittelalterliche Monument wieder identisch aufgebaut oder mit einer "zeitgenössischen architektonischen Geste" versehen werden soll. Letzteres schwebt etwa Präsident Emmanuel Macron vor. Das Gremium segnete die Vorschläge weitgehend ab und gibt diese nun als Empfehlung an die Regierung weiter. Das letzte Wort in der Sache hat der Eigentümer der Kirche – und das ist der französische Staat.
Außen alles beim Alten
Die Pläne sehen weiters vor, dass die rund zwölf Millionen Touristen, die bis vor dem Brand jährlich das Wahrzeichen der Stadt besuchten, künftig durch das zentrale Tor und nicht durch die Seitentüren eintreten. Die neue Besucherführung soll demnach vom Nordflügel bis zum südlichen Querschiff verlaufen – und bei der Statue der Jungfrau mit Kind enden, welche beinahe wie ein Wunder heil aus den Trümmern der geborgen werden konnte.
Zu den Fürsprechern der Modernisierungspläne zählt der Kunsthistoriker und Ex-Chef des Louvre, Henri Loyrette. Er könne sich den Wiederaufbau von Notre-Dame ohne eine Modernisierung nicht vorstellen: "Eine strikt identische Renovierung ist eine Kapitulation."
Zumindest eines soll beim Alten bleiben: das äußeren Erscheinungsbild der Kathedrale. Auch eine Replik des Spitzturms, der bei dem Brand eingestürzt war und den der Architekt Eugène Viollet-le-Duc erst im 19. Jahrhundert hinzugefügt hatte, soll bis 2024, wenn der Wiederaufbau beendet sein soll, wieder in den Himmel ragen.
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