"Politischer Arm des Hasses": Wie viel Mitschuld hat die AfD an Hanau?
„Gruppenvergewaltigung in Shisha-Bar! Syrer und Iraner festgenommen! Vergiftungen in Shisha-Bars!“
Diese Zeilen stammen nicht aus dem kruden Pamphlet, das Tobias R. hinterlassen hat – jener Mann, der am Mittwoch im deutschen Hanau gezielt Migranten in Shisha-Bars ermordet hat.
Sie stammen aus Postings jener Partei, der nach dem rechtsradikalen Terroranschlag mit elf Toten eine politische Mitverantwortung angelastet wird: der AfD.
Verbale Munition
Nach dem Attentat diskutiert Deutschland, ob und wie die Rechtspopulisten Taten wie diese befeuert haben. Der „politische Arm des Hasses“ sei die Partei, sagte etwa Grünen-Politiker Cem Özdemir; SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil sprach davon, dass die AfD den Täter „munitioniert“ habe und künftig vom Verfassungsschutz beobachtet werden müsse. Und selbst die FDP, in Thüringen kürzlich noch in politischer Abhängigkeit der AfD, gaben den „Hassreden von Höcke und Co.“ eine Mitschuld.
Nur: Nutzen diese Schuldzuweisungen etwas?
Das ist fraglich. Zum einen stimme es freilich, dass die AfD derlei Taten mitzuverantworten hat, indem sie „Brandmauern gegenüber Rechtsextremisten eingerissen hat“, wie der Kasseler Politikwissenschaftler Wolfgang Schroeder sagt. „Fälle wie jener in Hanau sind für Täter die logische Konsequenz aus dem, was durch die AfD an rassistischen Positionen geäußert wird.“ Die Täter fühlten sich „als ausführende Organe dieser menschenfeindlichen Erlöserlehren“ – bei 12.700 gewaltbereiten Rechtsextremen, die der Verfassungsschutz zählt, ein höchst drängendes Problem.
Zum anderen ist es aber mit Schuldzuweisungen nicht getan. „Der AfD ist mit einer Politik der Moralisierung nicht beizukommen“, sagt Schroeder. Das führe meist nur dazu, dass die AfD sich als unverstandenes Opfer stilisiere. Wie das aussieht, sieht man an der Reaktion des AfD-Bundessprechers Jörg Meuthen: „Es ist so schäbig. Die Tat eines Wahnsinnigen soll UNS angelastet werden“, so seine Reaktion auf die Kritik.
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Selbstverharmlosung
Diese Taktik hat einen einfachen Namen: Selbstverharmlosung. „Die AfD nimmt, wenn sie der geistigen Brandstiftung beschuldigt wird, die Biedermann-Pose ein“, sagt Schroeder. Sie nennt Täter „Verrückte“, spricht von „Einzelfällen“ – und das nicht in jener zynischen Weise, wie sie es bei Taten von Tätern mit Migrationshintergrund macht. All dies habe in den letzten Jahren zu einer Veränderung der Tonalität geführt: „Die Schwellen des Sagbaren sind durch die AfD abgesenkt geworden.“
Auch das, was früher innerhalb der Partei sanktioniert wurde, ist mittlerweile im Bereich des Normalen. Dass Thüringens Landeschef Björn Höcke, der bekannteste Rechtsausleger der Partei, kürzlich bei Pegida in Dresden auftrat, wurde innerhalb der Partei mit einem Schulterzucken quittiert. Mehr noch: Viele applaudierten ihm. Vor nicht allzu langer Zeit war ein Anstreifen an die Wutbürger, unter die sich mehr und mehr Rechtsextreme mischen, in der Partei undenkbar.
Dass sich die Partei immer stärker radikalisiert, scheint ihrer Attraktivität aber nicht zu schaden. In Umfragen liegt sie bundesweit konstant bei 15 Prozent, in manchen Ländern sogar über 20. Wie man jene erreicht, die ihr Kreuzchen bei der AfD machen, obwohl sie immer weiter ins Extreme driftet, darüber zerbrechen sich alle Mitbewerber den Kopf.
Die Faschismuskeule nutze jedenfalls wenig, sagt Schroeder. „Nicht jeder, der eine menschenfeindliche Parole von sich gibt, darf gleich als Faschist bezeichnet werden. Damit verharmlost man das nationalsozialistische Regime, das 60 Millionen Tote zu verantworten hat.“
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Keine Veränderung
Diese Verharmlosung nutzt letztlich auch der AfD – man erinnere sich an die Aussage von Parteigrande Alexander Gauland, der die Gräueltaten der Nazis als „Vogelschiss der Geschichte“ bezeichnete.
Wenig Wunder, dass er auf die Welle der Kritik nach Hanau gelassen reagierte. Ob die AfD etwas an ihrer Politik ändern müsse? „Ich sehe keinen Grund“, sagte er.
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