Unrealistische Erwartungen
Dass wir heute noch über die Kluft in Deutschland und die Unterschiede sprechen, habe mit unrealistischen Erwartungshaltungen zu tun, die geschaffen wurden. Sein Fazit: Das Versprechen, die Lebensverhältnisse anzugleichen, konnte nie erfüllt werden. „Ab 1990 versuchte man, alles so schnell wie möglich marktwirtschaftlich neu zu ordnen – auf einen Schlag.“ Das konnte nicht funktionieren, denn der Osten ist mit seinen Regionen so unterschiedlich, wie es die BRD ist, so Clarkson im Gespräch mit dem KURIER. „Für viele Menschen, die zuvor das System des Sozialismus scheitern sahen, hat sich erneut ein System delegitimiert.“
Und just in dieser instabilen Lage der Nachwendezeit, geprägt von millionenfacher Abwanderung, Auflösung bestehender Betriebe bzw. deren Übernahme durch westliche Firmen, hätte es einen Anlauf für Rechtsradikale und ultranationalistische Einstellungen gegeben, erklärt der Politologe. Das passierte ebenso in strukturschwachen Regionen des Westens, wie etwa im Ruhrpott. Aber im Osten, zum Beispiel in Sachsen, halten sich diese Gruppen bis heute stark.
Falscher Umgang mit Rechts
Das liegt auch am Umgang mit Rechtsextremismus. Sachsen ist „immun“ gegen rechts, trommelte der schwarze Ministerpräsident Kurt Biedenkopf, der von 1990 bis 2002 das Land führte. Anstatt den Nationalisten entgegenzutreten, die sich in Freital und Erzgebirge breitmachten, verfolgte man an eine Identitätspolitik. Neben Bayern und Sachsen gibt es kaum ein Bundesland, dass seine Regionalität so stark betont. „Dass so eine Überbetonung des Eigenen zu einer Abwertung des Fremden führt, ist altbekannt“, sagt Volkmar Wölk von der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen. Obwohl das Land heute wirtschaftlich am besten gestellt ist und es wie in anderen neuen Bundesländern wenig Migranten gibt, funktioniert dort das Spiel mit der Angst vor Fremden gut.
Traumata
Das lässt sich nicht alleine auf die jahrzehntelange Isolierung zurückführen, sagt Clarkson. Denn mittlerweile gäbe es viele Umzüge von Ost nach West und umgekehrt. Er ortet Traumata aus der Wendezeit, die bei älteren und mittleren Generationen nachwirken: Etwa das Gefühl von Zurücksetzung. „Sie erlebten, dass ihre berufliche Erfahrung nichts wert war. Das betraf den Klempner, der zu VW nach Wolfsburg kam, sowie Ärzte und Rechtsanwälte.“ Zudem wären sie plötzlich in Konkurrenz mit Migranten gestanden, nämlich Gastarbeitern, die sich seit den 50er und 60er Jahren nach oben gearbeitet haben und besser gestellt waren. „Diese Erfahrung wurde als Schmach empfunden und hat sich bei vielen tief eingeprägt“, sagt Clarkson.
Opfer-Mythos
Genau daran versucht derzeit auch die AfD mit einer Kampagne anzuknüpfen. Sie bohrt in den Lebenserfahrungen der Menschen, gleichzeitig versuchen sich die Politiker mit jenen gleichzusetzen, die damals nicht sagen durften, was sie denken. „Es fühlt sich schon wieder so an wie in der DDR“, verkündete AfD-Politiker Björn Höcke kürzlich bei einer Wahlkampfrede. Die Partei treffe damit den Nerv jener Menschen, „die den Eindruck haben, für sie gäbe es keinen Ort politischer und kultureller Repräsentation im vereinigten Deutschland“, schreibt der Soziologe David Begrich im Freitag.
Um diesen Opfer-Mythos entgegenzutreten, sei es wichtig, die Länder nicht nur auf die AfD zu reduzieren, sagt Alexander Clarkson. „Wenn verhindert werden soll, dass sich die Idee vom unterdrückten Staat auf weitere Generationen ausbreitet, muss man nuancierter mit dem Osten umgehen.“ Dazu gehören für ihn auch Erfolgsgeschichten und jene Menschen, die sich unter schwierigen Bedingungen zivilgesellschaftlich engagieren.
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