Deutschland und Frankreich: Eine Freundschaft mit Hindernissen
Aus Paris Simone Weiler
Wenn sie am Sonntag in der Pariser Sorbonne zusammenkommen, werden der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz und der französische Präsident Emmanuel Macron auftreten, als passe kein Blatt Papier zwischen sie. In ihren feierlichen Reden werden sie die deutsch-französische Einheit als unverzichtbaren Motor für Europa beschwören und an den langen Weg erinnern, den ihre Länder seit 60 Jahren zurückgelegt haben.
Damals, am 23. Jänner 1963, unterzeichneten ihre Vorgänger Konrad Adenauer und Charles de Gaulle in Paris den Élysée-Vertrag. Keine 18 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs schrieben sie damit eine vertrauensvolle Zusammenarbeit und die Entwicklung eines Systems regelmäßiger Abstimmungen auf allen Regierungsebenen fest, das in dieser Intensität weltweit einmalig ist. Doch trotz der freundschaftlichen Inszenierung würde im Grunde ein ganzer Stoß an Papieren über Themen, die sie entzweien, zwischen Scholz und Macron passen.
„Isoliertes Deutschland“
Vor dem Hintergrund des Ukraine-Kriegs, der hohen Inflation und der Energiekrise kamen die Zwistigkeiten im vergangenen Jahr stark zum Vorschein: Paris reagierte irritiert auf die deutschen Entscheidungen, 35 Kampfjets amerikanischer Herstellung zu kaufen und mit 14 anderen Nato-Staaten ein gemeinsames Luftabwehrsystem anzuschaffen, an dem Frankreich nicht beteiligt ist. Gemeinsame Rüstungsprojekte schienen nicht voranzukommen – auch wenn es nun Fortschritte bei der Entwicklung des „Zukünftigen Luftkampfsystems“ FCAS gibt.
Hinzu kam, dass Scholz den Partner vor der Ankündigung eines 200-Milliarden-Euro-Hilfspakets nicht vorab informiert hatte und die bilaterale Freundschaft in seiner Prager Europa-Rede nicht einmal erwähnte, die Macron nicht müde wird zu betonen. Auch setzen das Kernenergie-Land Frankreich und Deutschland, das am Atomausstieg festhält, auf verschiedene Modelle bei der Energieversorgung, die jeweils unter Druck gerieten. Zum Höhepunkt der Diskussionen um einen Gaspreisdeckel sagte Frankreichs Präsident am Rande eines Gipfels in Brüssel, es sei „nicht gut, wenn Deutschland sich isoliert“.
Gemeinsamer Ministerrat verschoben
Es war ein Warnschuss à la Macron, der gern versucht, mit undiplomatisch klingenden Vorstößen Druck auszuüben. So wie er zuletzt die Lieferung leichter Kampfpanzer an die Ukraine ankündigte, ohne auf einen ähnlichen Beschluss Berlins zu warten. Historikerin und Deutschland-Spezialistin Hélène Miard-Delacroix nennt den offenkundigen Mangel an Koordination „problematisch“. Sie betont aber, dass es bei der Verurteilung des russischen Angriffs und der Unterstützung der Ukraine ein grundsätzliches Einverständnis gebe, das lediglich „manchmal von national geführten Diskussionen um Rüstungslieferungen überdeckt“ werde. Auch seien die Charaktere eben sehr verschieden.
Die Serie an Streitigkeiten gipfelte in der Verschiebung eines im Oktober geplant gewesenen deutsch-französischen Ministerrates. Er wird am Sonntag mit 47 Ministern und Staatssekretären nachgeholt. Mehrere große Themenblöcke gilt es zu besprechen: Sicherheit und Verteidigung, Industrie- und Wirtschaftspolitik mit konkreten Kooperationsprojekten in der Künstlichen Intelligenz und der Batterieherstellung, Energie mit Schwerpunkt Wasserstoff. Auch um die Zukunft der EU soll es gehen und ein deutsch-französisches Bahnticket für junge Leute soll angekündigt werden.
Essen nur zu zweit
Jubiläen des Élysée-Vertrags waren oft auch Anlass für die Schaffung neuer Institutionen. So entstand vor 20 Jahren dieser deutsch-französische Ministerrat, 2019 die deutsch-französische parlamentarische Versammlung, die eigene Vorschläge zu grenzüberschreitenden Fragen erarbeitet. Am Sonntag treffen sich in diesem Rahmen rund 300 Abgeordnete der Nationalversammlung und des Bundestages.
Vor 60 Jahren wurde auch das deutsch-französische Jugendwerk gegründet, das seitdem fast 9,5 Millionen Menschen die Teilnahme an Austauschprogrammen ermöglichte. Nun legt man erneut Augenmerk auf den Nachwuchs: 24 junge Leute werden den Regierenden Ideen unterbreiten.
Am Abend tritt das deutsch-französische Jugendorchester im Pariser Pantheon auf. Scholz und Macron werden nicht zugegen sein: Sie beenden den Tag mit einem gemeinsamen Abendessen in einem Pariser Restaurant – wie unter guten alten Freunden.
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