„Frankreich ist ein Paradies, das bevölkert ist von Menschen, die glauben, in der Hölle zu leben“, sagte der Schriftsteller Sylvain Tesson einmal. Ein Beispiel: Während der Coronavirus-Pandemie zeigte sich der französische Staat unter dem von Präsident Emmanuel Macron ausgegebenen Motto „Koste es, was es wolle“ so großzügig wie kaum ein anderes Land, um die Folgen der Krise für Unternehmen wie Privathaushalte abzufedern.
Dank staatlicher Hilfen ist die Inflation in Frankreich deutlich geringer als bei den Nachbarn. Gas- und Strompreise bleiben im Rahmen, der Schuldenberg wächst. Doch die Regierung erntet nicht etwa Dankbarkeit, sondern Unmut und Verdruss.
Hochwillkommen ist daher die politische Sommerpause. Sie beginnt nach diesem Nationalfeiertag, der wie immer mit einer Militärparade auf der Prachtstraße Champs-Élysées zelebriert wird. Die Menschen sind erschöpft nach dem Wahl-Marathon in diesem Jahr.
Für den Meinungsforscher Brice Teinturier handelt es sich um „ein müdes Land ohne Vision für die Zukunft, das sich auf sich selbst zurückzieht und schlicht und einfach explodieren kann“.
Bei den Präsidentschaftswahlen im April stimmten in der ersten Runde mehr als die Hälfte der Wählerinnen und Wähler für die extremen Rechten oder Linken und damit für Parteien, die für Protest, nationale Alleingänge und simple Lösungen für komplexe Probleme stehen.
Im zweiten Durchgang erhielt die Rechtspopulistin Marine Le Pen 41 Prozent – so viel wie nie zuvor. Seit den Parlamentswahlen im Juni sitzt erstmals eine große Gruppe von 89 rechtsextremen Abgeordneten in der Nationalversammlung und die Partei verfügt in deren Präsidium über zwei Vizepräsidenten-Posten.
Die mit 75 Mitgliedern ebenfalls starke Fraktion der radikalen Linken stellte sofort unter Beweis, dass sie eine kämpferische Total-Opposition bilden will, indem sie einen Misstrauensantrag gegen Premierministerin Élisabeth Borne noch vor deren Regierungserklärung ankündigten.
An dem Votum beteiligten sich weder die Republikaner noch die Rechtsextremen, um ihre Seriosität und grundsätzliche Kooperationsbereitschaft unter Beweis zu stellen, und so scheiterte der Antrag am Montagabend.
Durch diese faktische Bestätigung im Amt ist Borne vorerst gestärkt, obwohl sie es vermieden hatte, die Vertrauensfrage zu stellen. Doch ihre Position bleibt fragil und damit auch jene von Macron, seit er die absolute Mehrheit im Parlament eingebüßt hat. Jeder Gesetzestext wird ausgehandelt werden müssen, was dem Parlament ein neues Gewicht verleiht.
Was anderswo als normale politische Arbeit durch Konsensbildung gilt, ist in Frankreich neu. Mit Bewunderung blickt man hier oft auf Länder wie Österreich, wo Regierungen aus Koalitionen bestehen, die Kompromisse bilden. In Paris zieht dies Verunsicherung nach sich: Drohen fünf Jahre der Blockade, ausgerechnet unter dem so dynamisch auftretenden Präsidenten Macron?
Die Antwort darauf wird vom Fingerspitzengefühl abhängen, das er an den Tag legt. Ein erstes Gesetz zur Stärkung der Kaufkraft, das nächste Woche ins Parlament eingebracht wird, hat gute Chancen, eine Mehrheit zu finden. Spätestens die Umsetzung der umstrittenen Rentenreform dürfte aber zu Tumulten im Parlament und auf der Straße führen.
Der Staatschef, der kaum Wahlkampf betrieben hatte, erscheint seit Monaten distanziert und ideenarm. Er sei müde, verriet er Vertrauten. Vorbei der triumphierende Habitus, mit dem er in seine erste Amtszeit gestartet war. Eine „neue Methode“ hat der 44-Jährige versprochen. Sollte er künftig tatsächlich stärker auf Dialog setzen, wäre das ein heilvoller Wandel.
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