Französische Pensionsreform löst Massenproteste aus
von Simone Weiler
Geht es nach den großen Gewerkschaften Frankreichs, ist dieser Donnerstag nur der Anfang. Der Beginn einer starken Protestbewegung, die so lange andauert, bis die Regierung ihre Reformpläne zurückzieht.
Diese sehen die schrittweise Erhöhung des Pensionsalters von 62 auf 64 Jahre sowie der Beitragsdauer auf 43 Jahre vor. Am ersten Streiktag bleiben zahlreiche französische Schulen und Kindergärten geschlossen. Viele Flüge und öffentliche Verkehrsmittel fallen aus. Auch in Krankenhäusern könnte es zu Streiks kommen.
2010 zuletzt erhöht
Erstmals seit 2010, als der damalige Präsident Nicolas Sarkozy die Pensionsaltersgrenze von 60 auf 62 Jahre erhöhte, haben sich die größten Gewerkschaften, die sonst oft in einem Konkurrenzverhältnis zueinanderstehen, zusammengetan.
Die linke Opposition will mit demonstrieren und rief zu einem weiteren Protestmarsch am Samstag auf, den mehrere Jugendorganisationen ausrichten.
Und auch die Fraktionschefin des rechtsextremen Rassemblement National, Marine Le Pen, wünschte „allem Erfolg, was dazu führt, diese Reform zurückzuziehen“. Präsident Emmanuel Macron kann im Parlament voraussichtlich also nur auf die Stimmen der oppositionellen Republikaner zählen, was für eine Umsetzung reichen dürfte.
Kritik aus Macron-Lager
Zuletzt regte sich aber auch im Präsidentenlager Widerstand. Prominenteste Kritikerin ist Macrons frühere Umweltministerin Barbara Pompili. Sie erklärte, nicht für die Reform stimmen zu können, solange diese keine weiteren sozialen Ausgleichsmaßnahmen enthalte.
Die Organisatoren der Streiks jedenfalls hoffen auf eine hohe Beteiligung, um der Regierung ein klares Signal zu senden. Denn diese trage die alleinige Verantwortung für die Situation, sagte Laurent Berger, Chef der gemäßigten Gewerkschaft CFDT: „Wir lassen uns nicht den Schwarzen Peter für die Blockade des Landes zuschieben.“
Er und seine Kollegen kämpfen Umfragen zufolge gegen eine Reform, die eine große Mehrheit der Franzosen ablehnt. Laut dem Meinungsforschungsinstitut IFOP sprechen sich zwei Drittel gegen das Projekt aus, das Macron bis Ende des Sommers umsetzen will. 51 Prozent unterstützen die Streiks.
Diese Zahlen seien im Vergleich mit früheren Protestbewegungen beachtlich, sagte IFOP-Generaldirektor Frédéric Dabi: „Die Schlacht um die öffentliche Meinung hat ungünstig für die Regierung begonnen.“
System nicht gefährdet
Etliche Ökonomen, etwa Bestseller-Autor Thomas Piketty, rechneten vor, dass die Reform wirtschaftlich nicht notwendig sei. Ein Expertenrat ging in einem Bericht zwar von Verlusten in Milliardenhöhe aus, sah das System aber nicht gefährdet.
Regierungschefin Élisabeth Borne sprach hingegen von einem „Defizit von mehr als 100 Milliarden Euro in den nächsten zehn Jahren“, sollten keine Maßnahmen ergriffen werden. Vergeblich bemühte sie sich, die Reform als gerecht darzustellen: Man habe besonders anstrengende Arbeiten ebenso berücksichtigt wie Menschen, die sehr früh ins Berufsleben einsteigen.
In Zeiten der hohen Inflation befürchtet die Regierung soziale Unruhen und monatelange Proteste, wie 2018 durch die „Gelbwesten“-Bewegung. Oder vor drei Jahren, als Macron einen noch umfassenderen Umbau des Rentensystems plante. Bei Ausbruch der Corona-Pandemie zog er die Vorschläge letztlich zurück.
Umso entschlossener erscheint er nun, sein Ziel umzusetzen. Vor der Wahl im April 2022 hatte er klar versprochen, das Pensionsalter zu erhöhen und damit an europäische Gegebenheiten anzupassen, denn in kaum einem anderen Land beginnt die Rente so früh, während die Bezüge vergleichsweise hoch sind.
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