"Staatsmännisch": Wie Habeck mit Israel-Rede Beliebtheitspunkte sammelt

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"Richtige Worte, richtiger Ton", lobt sogar die Union den grünen Vizekanzler. Traditionsgemäß ist der Höhenflug aber selten von langer Dauer.

Er ist Liebes- und Hassobjekt der deutschen Medien wie kein anderer Politiker. Nach dem Drama um das Heizungsgesetz galt der grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck eigentlich schon als abgeschrieben: Monatelang waren er und sein "Heiz-Hammer" das Feindbild Nummer eins der deutschen Bild, das Handelsblatt unterstellte ihm eine "Entfremdung von der Bevölkerung", die NZZ schrieb von "Habecks Versuch, mit dem Kopf durch die Wand zu gelangen". Von der oppositionellen Union wurde er "Bruchpilot im Blindflug" genannt.

In den vergangenen Monaten war es ruhig um ihn, der Spiegel mutmaßte, er habe sich nach den Negativschlagzeilen einen Maulkorb verpasst. Im Sommer verzichtete der Vizekanzler auf Urlaubs-Schlagzeilen und vertrat den sich in Frankreich erholenden Kanzler Olaf Scholz (SPD) in Berlin.

Doch ganz plötzlich ist er wieder zurück als "Liebling" der Nation mit "Kanzler-Potenzial". Auf Social Media veröffentlichte der Vizekanzler ein zehnminütiges Video, in dem er mit ernster Miene, schwarzem Anzug und Krawatte zum Krieg zwischen Israel und der Hamas und dem aufflammenden Antisemitismus in Deutschland Stellung nimmt.

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Habeck emotionalisiert und differenziert

Die Rede beginnt mit der Leitlinie, "Israels Sicherheit ist deutsche Staatsräson" – ein Satz, der drohe, zu einer Leerformel zu werden. Habeck erklärt, was er darunter versteht: Dass "die Sicherheit Israels für uns als Staat notwendig ist". Er berichtet von Gesprächen mit Juden in Deutschland, die sich fürchteten, ihre Kinder zur Schule zu schicken, und ihnen raten würden, die Kette mit dem Davidstern zuhause zu lassen – "und das fast 80 Jahre nach dem Holocaust in Deutschland", wiederholt Habeck immer wieder.

"Die Solidarität mit Israel wird rasch brüchig", warnt Habeck. Oft werde auf den Kontext des Krieges verwiesen. "Kontextualisierung aber darf hier nicht zu Relativierung führen." Antisemitismus sei in keiner Gestalt zu tolerieren. "Das Ausmaß bei den islamistischen Demonstrationen in Berlin und in weiteren Städten Deutschlands ist inakzeptabel und braucht eine harte politische Antwort."

Habeck differenziert: Kritik an Israel sei in Deutschland erlaubt, es sei nicht verboten, für die Rechte der Palästinenser und ihr Recht auf einen eigenen Staat einzutreten. "Jedes tote Kind ist eines zu viel, auch ich fordere humanitäre Hilfslieferungen nach Gaza." Aber der Aufruf zur Gewalt gegen Juden sei verboten. "Antisemitismus kann damit nicht legitimiert werden."

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Etwa drei Tage habe Habeck an seiner Rede geschrieben, zitiert die FAZ eine Quelle der Grünen.

"Exzellent" bis "historisch"

Die Medien waren voll des Lobes: "Wirklich exzellent" (stern), "historisch" (Bild), "staatsmännisch" (Focus), eine "Klarheit [...], wie es sich viele von den Politikern in diesen Ämtern gewünscht hätten" (Die Welt). Der Spiegel ortete einen "Neustart" für den Vizekanzler. Sogar die BBC berichtete von dem "emotionalen Video mit großer Wirkung".

Selbst politische Gegner fanden lobende Worte: Der ehemalige CDU-Vorsitzende Armin Laschet lobte die "argumentativ stark und gut begründete innen- und außenpolitische Haltung Deutschlands", die über alle Parteigrenzen hinweg gehört und unterstützt werden müsse. CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann sagte, "Robert Habeck hat bei diesem wichtigen Thema genau die richtigen Worte gefunden und den Ton getroffen".

Habecks Worte stoßen auch deswegen auf so viel Begeisterung, weil ein ähnlich emotionaler Vergleich fehlt: Kanzler Scholz äußerte sich bisher gewohnt technisch und kühl, Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier distanziert und präsidentiell. Den Vorwurf, mit seiner Rede Koalitionspartner oder ranggleiche Parteikolleginnen ausstechen zu wollen (in drei Wochen treffen sich die Grünen zum Parteitag), will Habeck nicht gelten lassen. In den vergangenen Tagen habe er "genug Ruhe gehabt", sich mal Gedanken zu machen, "um die verworrene Debattenlage zu entwirren". Deshalb habe er dieses Video aufgenommen, einfach so.

Robert Habeck (Mitte) zwischen Parteikollegin und Außenministerin Annalena Baerbock und Kanzler Olaf Scholz im Oktober 2023.

Robert Habeck (Mitte) zwischen Parteikollegin und Außenministerin Annalena Baerbock und Kanzler Olaf Scholz im Oktober 2023.

Social-Media-Profi Habeck

Habecks rhetorisches Talent ist längst bekannt, er und sein Social-Media-Team wissen, wie sich der Grünen-Politiker in Szene setzen muss. Schon als Minister in Schleswig-Holstein feierten Schlagzeilen den "neuen, ehrlichen" Politstil, den der Schriftsteller mitbrachte. Man erinnere sich nur an sein Video zum Flüssiggasdeal mit Katar, in dem er sein innerliches Ringen öffentlich machte. Es folgten Lobeshymnen und ein Hoch in den Umfragewerten. Und ein tiefer Fall wenige Monate später.

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