Was Nicaragua der deutschen Regierung vorwirft
Grundsätzlich lassen sich die Vorwürfe schnell zusammenfassen: Nicaragua wirft Deutschland vor, mit seinen Waffenlieferungen an Israel Beihilfe zu dessen Völkermord an der palästinensischen Bevölkerung im Gazastreifen zu leisten.
Ein Vorwurf, der aus Sicht des mittelamerikanischen Staats dadurch unterstrichen wird, dass die deutsche Bundesregierung ihre Zahlungen an das Palästinenserhilfswerk der Vereinten Nationen (UNRWA) einstellte, nachdem publik geworden war, dass einzelne Mitarbeiter an dem Hamas-Großangriff am 7. Oktober teilgenommen hatten.
Die Klage schließt unmittelbar an eine Klage Südafrikas an - das Land hatte Israel schon im Dezember, ebenfalls vor dem internationalen Gerichtshof, vorgeworfen, im Gazastreifen einen Völkermord zu begehen. Nicaragua fordert nun sogar eine einstweilige Verfügung gegen Deutschland, damit das Land keine Waffen mehr an Israel liefern kann, während das Verfahren noch läuft.
Wie Deutschland sich verteidigt
Am Dienstag nutzte die Völkerrechts-Beauftragte des deutschen Außenministeriums, Tania von Uslar-Gleichen, die Chance zur öffentlichen Rechtfertigung. In einem 120-minütigen Statement legte sie den Standpunkt ihrer Regierung dar und wies die Anschuldigungen "umfassend zurück". Deutschland mache sich auf diplomatischer Ebene für mehr humanitäre Hilfe im Gazastreifen und eine Zwei-Staaten-Lösung stark, erkenne aber auch Israels Recht auf Selbstverteidigung an.
Zudem liefere Deutschland in erster Linie "allgemeine Rüstungsgüter" nach Israel, die nicht direkt bei Kampfhandlungen eingesetzt werden können. Genauer: Seit Oktober 2023 seien in Deutschland nur vier Lizenzen für den Export von Waffen nach Israel erteilt worden, dabei sei es um "Munition für Trainingszwecke und ein U-Boot" gegangen, so von Uslar-Gleichen: "Deutschlands Handeln in diesem Konflikt wurzelt fest im Internationalen Recht."
Was an dem Fall so bizarr ist
Mit Blick auf die Menschenrechtssituation in beiden Ländern ist es durchaus beachtlich, dass ausgerechnet Nicaragua vor den internationalen Gerichtshof zieht, um die deutsche Bundesregierung zu klagen. Der nicaraguanische Diktator Daniel Ortega regiert das Land seit 2006 mit eiserner Hand, geht gezielt gegen Oppositionelle vor.
Erst im Februar wurde Ortegas Regierung in einem UNO-Bericht Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgeworfen. Vertreten wird die Anklage Nicaraguas vor dem Internationalen Gerichtshof ausgerechnet von dem deutschen Anwalt Daniel Müller.
Wie unter deutschen Diplomaten erzählt wird, nimmt die Bundesregierung die Klage aber auch deshalb so ernst, weil ihr ein bizarres Schauspiel mit Russland-Bezug vorausging. Ende Februar hatte die Regierung Nicaraguas zwar angekündigt, gegen Deutschland vor Gericht ziehen zu wollen, aber formell noch keine Klage eingereicht.
Die kam dann zwar an, aber nicht auf korrektem Weg: Sie landete als E-Mail im Postfach der ständigen diplomatischen Vertretung Deutschlands im UNO-Hauptquartier in New York. Bei der nächsten Bundespressekonferenz fragte ein russischer Journalist nach Neuigkeiten zur Klage, die Außenamts-Sprecher konnten jedoch noch keine Stellungnahme dazu abgeben, weil die Klage noch nicht offiziell eingebracht war.
Das wiederum interpretierte Nicaragua als diplomatischen Streit - ein solcher ist nämlich notwendig, um verpflichtende Vermittlungsgespräche zu überspringen - und reichte die Klage offiziell in Den Haag ein. Tania von Uslar-Gleichen argumentierte wegen dieser Vorgeschichte am Dienstag, Nicaragua habe einen Formfehler begangen.
Womit zu rechnen ist
Die Chancen für eine Verurteilung Deutschlands sind gering. Schon Israel wurde nach der Südafrika-Klage Ende Jänner nicht klar verurteilt, sondern nur dazu aufgefordert, "alle nötigen Sofortmaßnahmen" wahrzunehmen, um palästinensische Zivilisten zu schützen. Nach einer Berufung Südafrikas hieß es dann Ende März, Israel müsse mehr humanitäre Hilfslieferungen in den Gazastreifen lassen.
Damit hat sich Israel aus Sicht der Richter in Den Haag nicht des Völkermords schuldig gemacht - wodurch es äußerst unwahrscheinlich ist, dass Deutschland wegen der Beihilfe zu selbigem verurteilt wird. Verurteilungen anhand von Waffenlieferungen sind im Völkerrecht ohnehin eine heikle Angelegenheit, weil ein Schuldspruch etliche weitere Klagen gegen andere Staaten nach sich ziehen könnte, die Israel unterstützen.
Eine weitere Anhörung beider Seiten wird es vorerst nicht geben, mit einem Urteil der Richter ist in ungefähr zwei Wochen zu rechnen.
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