Deutschland bekommt seine erste afrodeutsche Ministerin

Schleswig-Holstein gilt nicht gerade als das multikulturellste Bundesland Deutschlands: Den Norddeutschen wird gerne vorgeworfen, sie seien verschlossen, kühl und blieben am liebsten unter sich. Aminata Touré scheint das Klischee zu widerlegen: Die selbstbewusste 29-Jährige mit den Rastazöpfen soll ausgerechnet hier die erste afrodeutsche Landesministerin Deutschlands werden.
Während am Dienstag in Deutschlands bevölkerungsreichstem Bundesland Nordrhein-Westfalen CDU-Politiker Hendrik Wüst als Ministerpräsident der ersten schwarz-grünen Koalition des Landes bestätigt wurde, wurde auch im nördlichsten Bundesland der gemeinsame Koalitionsvertrag von Grünen und CDU unterzeichnet. Die CDU hatte die Wahl in Schleswig-Holstein im Mai mit 43,3 Prozent klar gewonnen, die Grünen wurden mit 18,3 Prozent zweitstärkste Kraft vor der SPD. Touré soll ein eigens zugeschnittenes Ressort für Soziales, Jugend, Familie, und Gleichstellung übernehmen.
Rassismus erlebt
Touré wurde in der 80.000-Einwohner-Stadt Neumünster in Schleswig-Holstein geboren und wuchs in einer Flüchtlingsunterkunft auf, ihre Eltern waren aus Mali nach Deutschland geflüchtet.

Die Grünen-Politikerin ist seit 2017 im Landtag und wird sich künftig um Soziales und Gleichstellung kümmern.
Natürlich habe sie Rassismus erlebt, erzählt sie in ihrem Buch "Die Macht der Vielfalt": Kinder im Bus hänselten sie wegen ihrer Hautfarbe; Männer auf der Straße bespuckten sie und riefen ihr das N-Wort hinterher. Am meisten ärgerte sie aber, wie überrascht ihre Mitmenschen reagierten, wenn sie erfuhren, dass Tourés Eltern Akademiker sind. "Das passt den meisten nicht in ihr Flüchtlingsbild", kritisiert Touré. Der akademische Abschluss ihrer Mutter wurde nicht anerkannt, sie ging putzen. Erst als Touré zwölf Jahre alt war, bekam ihre Familie die deutsche Staatsbürgerschaft.
Touré wurde Schulsprecherin, studierte Politik und ging zu den Grünen. Im Juni 2017 zog sie in den schleswig-holsteinischen Landtag ein, seit 2019 war sie Vizepräsidentin des Landtags – die jüngste Deutschlands.
Touré ist jung, weiblich, Afrodeutsche – sie scheint der ideale Shootingstar, um der grün-schwarzen Koalition unter Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) einen progressiven Anstrich zu verleihen. Doch sie will mehr sein als das, nicht nur über Themen wie Rassismus reden. Sie will Politik für alle machen.
Kompromissbereit
Dass man dafür in einer demokratischen Gesellschaft auch mal Kompromiss vor Ideologie stellen muss, verärgert zwar ein paar Grüne, Touré sicherte sich damit jedoch das Ministeramt: Wegbegleiter bezeichnen sie als pragmatisch und kompromissfähig.
Vielleicht haben es ihre Anliegen auch deswegen in den Koalitionsvertrag geschafft: Im Wahlkampf forderte sie mehr Klimaschutz und Kindergartenplätze sowie bezahlbaren Wohnraum für alle. Laut Koalitionsvertrag soll Schleswig-Holstein bis 2040 klimaneutral werden, ab 2025 sollen alle Neubauten ein Solardach bekommen. Pro Jahr sollen 15.000 soziale Wohnungen entstehen, die Kostenbeiträge für Kindertagesstätten sinken.
Privat soll Touré nur bei einem Thema nicht kompromissbereit gewesen sein: ihrem Nachnamen. Den wollte Touré nach ihrer Hochzeit nicht aufgeben. Deswegen heißt ihr Ehemann jetzt wie sie.
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