"Wir haben einen guten, kollegialen, teilweise auch freundschaftlichen Austausch im Kabinett", betonte Finanzminister Christian Lindner (FDP) vergangene Woche noch. Wohl ein Versuch, die Wogen in der Öffentlichkeit zu glätten.
Mittlerweile, so scheint es, kann sich die Ampel aber nicht einmal mehr auf ihren eigenen Beziehungsstand einigen. Am Dienstagabend gestand der grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck gegenüber ARD ein, dass es gerade "viele Knoten zu lösen und viele Blockaden zu überwinden" gibt. Ziel sei, "wieder eine richtig gute Leistungsbilanz zu bekommen. Aber im Moment ist das sicherlich nicht der Fall."
Wie tief der Streit inzwischen greift, zeigt sich an Habecks Vorwurf, der Koalitionspartner habe einen noch unfertigen Gesetzentwurf zum künftigen Verbot neuer Öl- und Gasheizungen bewusst an die Presse weitergegeben – "des billigen taktischen Vorteils wegen". Der Leak und die folgende, hitzige Debatte ließ die Grünen in einer INSA-Umfrage sogar hinter die AfD abrutschen.
Seit Wochen streiten die Ampelparteien auf offener Bühne, aktuell um den Haushaltplan 2024, der eigentlich bis 15. März hätte fertig sein sollen. Doch zwischen dem, was die Ministerien wollen, und dem, was Linder will, nämlich das Einhalten der Schuldenbremse, klafft eine 70 Milliarden weite Lücke.
Neue, alte Uneinigkeiten
"Wir erleben gerade eine Fortsetzung der Auseinandersetzungen des letzten Jahres", fasst es die Politikwissenschafterin Julia Reuschenbach von der FU Berlin für den KURIER zusammen. Nicht nur, aber vor allem zwischen FDP und Grünen gibt es Uneinigkeiten: Was im vergangenen Jahr die Gasumlage oder die AKW-Verlängerung waren, sind nun die Debatte um das von Habeck für 2024 angekündigte Verbot neuer Öl- und Gasheizungen, der von der FDP geplante Autobahnausbau oder das (vorübergehend) verhinderte Verbrenner-Aus.
Beziehungsstatus? "Es ist kompliziert."
"Dass die Frage der Finanzierung der Fortschrittsvorhaben der entscheidende Spagat der Regierung werden wird, war erwartbar", so Reuschenbach. "Dass Koalitionen streiten, kann auch die Wählerschaft nachvollziehen. Dennoch muss es gelingen, nach außen hin Einigkeit zu vermitteln."
Die Schuldenbremse ist seit 2011 Teil des Grundgesetzes. Wegen einer "außergewöhnlichen Notsituation" kann sie ausgesetzt werden. Das war 2021 und 2022 wegen Corona der Fall. Finanzminister Lindner begründet sein jetziges Bestehen auf die schwarze Null mit den gestiegenen Leitzinsen: Deutschland müsse nun deutlich mehr Geld für seine Schuldenrückzahlung aufwenden. 2,3 Billionen Euro sollen die Schulden Deutschlands aktuell betragen.
424 Milliarden Euro sind laut Lindner 2024 für Ausgaben vorgesehen. Die einzelnen Ministerien hätten aber gerne mehr – insgesamt um 70 Milliarden Euro. Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) will zehn Milliarden Euro mehr, Habeck zusätzliche Mittel für den Klimaschutz, Familienministerin Lisa Paus (Grüne) für die Kindergrundsicherung.
Von einem Machtwort, mit dem er im Herbst die AKW-Debatte beendete, sieht er in den aktuellen Konflikten ab. Stattdessen soll er sich – zum Ärger der Grünen und einem Teil der eigenen Genossen – in der Haushaltsfrage auf die Seite Lindners geschlagen haben. Einerseits, weil Scholz selbst als Finanzminister die schwarze Null vertrat; andererseits, um die Koalition zusammenzuhalten. Reuschenbach: "Scholz’ Anspruch war, dass jeder in der Koalition die Gelegenheit haben müsse, glänzen zu können. Das tat vor allem die FDP in letzter Zeit weniger."
Für Lindner sei das Einhalten der Schuldenbremse auch ein Wahlversprechen, an dem die Glaubwürdigkeit der FDP hängt, die im Vorjahr fünf Landtagswahlen in Folge verloren hat.
Vertrauensvorschuss der Bevölkerung "aufgebraucht"
In den Umfragen schlägt sich der Streit der Regierung bereits nieder: Aktuell käme die Ampel-Koalition auf keine parlamentarische Mehrheit mehr. Für Sonntag wurde ein Koalitionsausschuss angekündigt, bei dem der Streit beigelegt werden soll. Reuschenbach ist unsicher, ob das nachhaltig gelingt: "Die grundsätzliche Verschiedenheit in finanzpolitischen Fragen wird bleiben – und die Koalition weiterhin anfällig machen für Konflikte."
Der Vertrauensvorschuss der Bevölkerung für die Regierung sei aufgebraucht, so Reuschenbach weiter: "Das erste Jahr war zudem geprägt von Corona und Krieg. Jetzt ist die Bewährungsprobe vorbei, die Erwartungen an die Regierung steigen. Daran wird das Bündnis schließlich auch gemessen werden, und entschieden, ob eine solche Koalition auch ein zweites Mal mehrheitsfähig ist."
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