Wie die Waffenlobby die US-Politik auch nach diesem Massaker blockiert
Wer ab Freitag ins George Brown Kongress-Zentrum im texanischen Houston will, muss seine Waffe abgeben. An den Eingängen wird akribisch kontrolliert, damit bei der Jahrestagung der einflussreichen Waffen-Lobby „National Rifle Association“ (NRA) nichts passiert.
Jede Reform abwehren
Sozusagen das Kontrastprogramm zur einige Hundert Meilen westlich gelegenen, schutzlosen Robb-Grundschule in Uvalde, wo am Dienstag der 18-jährige Salvador Ramos für das zweitschlimmste Schulmassaker in der jüngeren amerikanischen Geschichte gesorgt hat: 19 tote Kinder (siehe unten).
Neben Ex-US-Präsident Donald Trump stehen in Houston vehemente Verteidiger des Rechts auf Waffenbesitz wie der republikanische Senator Ted Cruz auf der Rednerliste jener Organisation, die es noch nach jedem Massaker verstanden hat, politische Vorstöße gegen das freizügige Waffenrecht in den Vereinigten Staaten abzuwehren.
Die NRA hat sich (wie immer) bisher nicht offiziell zu Uvalde geäußert. Als gesichert darf aber gelten, dass sie die Forderung von Texas’ Justizminister Ken Paxton unterstützt. Der beinharte Republikaner verlangte nach dem Blutbad, die Lehrer im „Lone Star State“ zu bewaffnen. Dass Todesschütze Ramos mehrere Schüsse von Polizisten überstand, weil er beim Eindringen in die Schule kugelabweisende „body armor“-Ausrüstung trug, blendete der Jurist aus.
Immer mehr WaffenUvalde ereignete sich in einem extrem militant gewordenen Umfeld. In der Corona-Pandemie sind die Waffenkäufe in Amerika exorbitant gestiegen. Allein 2020 wurden 23 Millionen Schießeisen verkauft; 70 Prozent mehr als 2019. Knapp neun Millionen Amerikaner, die sich wie selten zuvor voreinander fürchten, griffen zum ersten Mal zu Gewehr und Pistole.
20.000 Tote
De andere Seite der Medaille: Im selben Jahr starben mehr als 20.000 Menschen in den USA durch Waffen, 5.000 mehr als 2019. Unter Kindern und Heranwachsenden ist es die dritthäufigste Todesursache. 2020 wurden sage und schreibe neun Milliarden (!) Patronen an Privathaushalte verkauft, wo rund 340 Millionen Waffen vermutet werden; mehr als die Einwohnerzahl der USA.
Für US-Präsident Joe Biden ist die texanische Katastrophe innenpolitisch ein weiterer Tiefschlag. Gerade hatte der Demokrat zum x-ten Mal in seiner fast 50-jährigen politischen Karriere schärfere Waffengesetze gefordert. Wissend, dass im heillos zerstrittenen Kongress die politischen Mehrheiten fehlen. Weil die republikanische Partei das verfassungsmäßige Recht auf Waffenbesitz gegen alle Versuche der Einschränkung mit Zähnen und Klauen verteidigt. Sichtlich gebrochen ging Biden nach Uvalde wieder vor die Kameras und machte wieder seiner Verbitterung Luft. „Als Nation müssen wir uns fragen, wann in Gottes Namen wir der Waffenlobby die Stirn bieten werden. Wo in Gottes Namen ist unser Rückgrat?“
Mörderischer Hitzesommer
Bürgerrechtsorganisationen haben heuer bereits 220 „mass shootings“ (mit mehr als vier Verletzten oder Toten) registriert. Dass allein im Mai bereits zwei Mega-Massaker zu verzeichnen sind – in Buffalo starben vor zwei Wochen zehn Menschen – gilt unter Experten für Waffengewalt als „furchterregender Vorbote“ für den traditionell blutigen Hochsommer in den USA mit seinen wochenlangen Extrem-Hitze-Perioden.
Texas, das so viel auf seine Groß- und Einzigartigkeit gibt, zählt dabei zu den Hotspots. Texaner dürfen bereits ab 18 Jahren Handwaffen kaufen – auf Bundesebene ist 21 das Mindestalter. Außerdem bedürfen Texaner keiner Waffen-Lizenz mehr, um einen Colt in der Öffentlichkeit zu tragen.
Junge Täter2019 wurden in den USA rund 29.000 junge Menschen zwischen 10 und 21 Jahren wegen Waffen-Delikten verhaftet. Rund 20 Prozent aller Tötungsdelikte mit Waffen sind auf die Altersgruppe der 18- bis 20-Jährigen entfallen. Obwohl sie nur vier Prozent der Gesamtbevölkerung stellen.
Wer nimmt ihnen die Waffen weg?
Wer, fragt Biden, nimmt solchen Jungmännern die todbringenden Waffen endlich aus der Hand? Wer legt die rechtliche Latte so hoch, dass Ex-Teenager, die legal keinen Alkohol erwerben (erst ab 21) oder ein Auto mieten können (meist ab 25), sich im nächsten Waffenladen eindecken können, ohne dass vorher ihre psychische Stabilität sorgfältigst geprüft wird?
Die Antwort ist ernüchternd: Seit Columbine/Colorado 1999 (15 Tote) sind mehr als 300.000 junge Amerikaner/-innen Opfer von Waffengewalt an Schulen geworden. „Geändert hat sich wenig“, monieren Polizei-Experten. Auch weil die NRA, die sich in Houston als Stütze der Gesellschaft feiert, immer auf der Bremse stand.
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