Der Mann, der sieben Jahre Bundeskanzlerin war
Es war im Jahr 1998.
Das World Wide Web kam erst in die Gänge, als ein 23-jähriger Student aus Berlin auf einem Streifzug durch die Weiten des Netzes auf die Adresse www.bundespraesidentin.de stieß. Die bis dato noch niemandem gehörte. "Und das zu einer Zeit, in der zwei Frauen gegen den damals amtierenden Johannes Rau kandidierten", erinnert sich Lars M. Heitmüller, besagter Student und heute 46-jähriger Kommunikationsleiter.
Kampf für Gleichberechtigung
Der Berliner zögerte nicht lange und sicherte sich die Domain "treuhänderisch", wie er heute betont. Wenig später konfrontierte das Wochenmagazin Stern das Bundespräsidialamt mit dieser Aktion. Die Reaktion: Man sei niemals davon ausgegangen, dass eine Frau dieses Amt ausführen werde. "Ich fand das ungeheuerlich. Diese Benachteiligung wollte ich aufzeigen", erzählt Heitmüller.
Kurzerhand sicherte er sich auch die ebenfalls freie Adresse bundeskanzlerin.de. Beide wollte er, wenn die Zeit reif wäre, der ersten Bundespräsidentin und der ersten Bundeskanzlerin kostenlos zur Verfügung stellen.
Bereits 2001 meldete sich bei ihm die von der CDU für den Wahlkampf engagierte Werbeagentur und zeigte Interesse an bundeskanzlerin.de. "Und das, obwohl damals noch völlig offen, wer Kanzlerkandidat der Union für die Wahl 2002 werden sollte: Merkel oder Edmund Stoiber", erzählt der Kommunikationsleiter amüsiert.
Tag der Übergabe
Sogar Geld habe man ihm damals geboten, was er jedoch abgelehnt habe. Stoiber setzte sich damals durch, Merkel sollte erst vier Jahre später am Zug sein, womit auch Heitmüllers Plan aufging. "In einer formlosen Zeremonie bei Kaffee im Bundespresseamt wurde die Domain dann übergeben", erinnert er sich. Merkel war damals nicht dabei, "sie hatte sicher Besseres zu tun, als sich um ihre Internetadresse zu kümmern."
Um Geld oder Aufmerksamkeit sei es Heitmüller nie gegangen. Letzteres bekam er trotzdem: Zahlreiche Zeitungen schrieben über ihn, sogar im Wikipedia-Artikel zum Begriff "Bundeskanzlerin" ist er vermerkt.
Schlussendlich war es aber allein Merkels Verdienst, dass Frauen auf der politischen Bühne heute anders gesehen werden als vor zwanzig Jahren: Merkel hat den Begriff Kanzlerin geprägt und es zur Normalität gemacht, dass Frauen dieses Amt ausüben. Seit 2004 ist das Wort "Kanzlerin" auch im Duden zu finden, 2005 wurde es zum "Wort des Jahres" gewählt.
Die Domain bundespraesidentin.de liegt übrigens immer noch bei Heitmüller – und wartet auf ihren Einsatz.
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