Der Iran wählt: Angst vor der Stimme des Volkes
Am 21. Februar wählt der Iran den Madschles, sein Parlament mit 290 Sitzen. Eigentlich keine große Sache, denn das Parlament ist in vielen Punkten machtlos. Der „Oberste Führer“ des Mullah-Regimes, Ayatollah Ali Khamenei, hat ein umfassendes Vetorecht gegen Beschlüsse.
Nicht zuletzt durch den mächtigen Wächterrat, der rechten Hand des Ayatollah. Das zwölfköpfige Gremium kontrolliert unter anderem die Einhaltung der Scharia. Auch das Wahlergebnis kann der Rat beeinflussen – und zwar bevor 58 Millionen wahlberechtigte Iraner zur Urne schreiten.
Das hat er auch gemacht: Er untersagte 9.000 potenziellen Abgeordneten die Kandidatur.
Die Ausschlüsse betreffen fast nur Moderate und Reformer. Ihnen wird Korruption und Ungläubigkeit vorgeworfen. Ein Versuch der Ultrakonservativen, „die Macht für sich zu monopolisieren“, erklärt Ali Fathollah-Nejad, Iran-Experte bei der Denkfabrik Brookings in Doha. Und da sei erst der Anfang: „Das Parlament ist die weniger bedeutende unter allen anderen Institutionen.“
Attacken auf Rouhani
Reformer und Moderate haben derzeit eine Mehrheit im Parlament. Vor dem Hintergrund der angespannten Lage, dürfte es im Interesse des islamischen Regimes sein, das zu ändern.
Der moderate Präsident Hassan Rouhani bekommt das zu spüren. „Lasst alle Parteien und Gruppen zur Wahl zu, es gibt sicher nichts zu verlieren“, verkündete er Anfang Februar. Der Wächterrat reagierte mit Kritik: Rouhani würde sich doch nur beschweren, weil sein Schwiegersohn nicht zur Wahl zugelassen wurde.
Klerus und Ultrakonservative torpedieren Rouhani. Nichts Neues, meint Fathollah-Nejad: „Ihr Ziel ist es, mit seiner Abwahl als Präsident nächstes Jahr die Macht vollkommen an sich zu reißen.“
Will die Bevölkerung das auch? Sie hat Rouhani zweimal mit großer Mehrheit gewählt. Der Zorn richtete sich vergangenen November zwar auch gegen Rouhani, als 200.000 Menschen gegen die Verdreifachung der Benzinpreise auf die Straße gingen. Doch das hatte nicht das gewählte Parlament beschlossen, sondern ein Wirtschaftsrat, den es laut Verfassung gar nicht geben dürfte. „Tod dem Diktator!“, skandierten die Demonstranten – und meinten den Ayatollah.
CIA-Putsch 1953
Der US-Geheimdienst CIA und der britische MI6 organisieren im Iran die „Operation Ajax“. Ziel: Der Sturz des demokratisch gewählten Ministerpräsidenten Mohammed Mossadegh. Der Putsch ist erfolgreich. Mossadegh muss 1953 zurücktreten. Der Sohn des ersten Schah, Mohammed Reza Pahlavi, übernimmt. Er baut mit Unterstützung der USA ein diktatorisches Regime auf, das jeden Widerstand blutig unterdrückt. Die zuvor verstaatlichte Ölindustrie gerät (wieder) unter Kontrolle der Briten und der USA.
Islamische Revolution 1979
Der oberste Geistliche Ayatollah Khomeini wird 1964 ins Exil geschickt. Er avanciert zur Symbolfigur des Widerstands gegen den Schah. Säkulare und streng-religiöse Gruppen fordern ein Ende der Monarchie. Der Schah tritt 1979 ab, der schiitische Klerus übernimmt. Khomeini kehrt aus Paris zurück und gründet die Islamische Republik. Studenten besetzen die US-Botschaft in Teheran und nehmen 50 Geiseln. Diese kommen nach einer gescheiterten US-Kommandoaktion erst 1981 frei. Die USA und Israel werden Feindbilder des Regimes.
Erster Golfkrieg
Im Iran-Irak-Krieg (1980 bis 1988) geht es um die Vorherrschaft am Persischen Golf und die Kontrolle der erdölreichen Region – und um die Begleichung einer alten Rivalität zwischen den historischen Gebieten Persien (Iran) und Mesopotamien (Irak). Der Krieg endet mit Hundertausenden Toten auf beiden Seiten und einem Waffenstillstand.
Atomprogramm und Sanktionen
US-Regierungen von Ronald Reagan bis Bill Clinton und George Bush verschärfen die wirtschaftlichen Sanktionen gegen den Iran immer mehr. Nach Enthüllungen von Regimegegnern über ein geheimes Atomprogramm des Iran beginnt 2003 der internationale Konflikt um die nuklearen Pläne des Landes, hinter denen vor allem die USA den Bau einer Atombombe vermuten. Ein 2015 in Wien geschlossenes Atomabkommen ist inzwischen wertlos. Die USA treten 2018 aus dem Abkommen aus.
Verschärfte Spannungen mit USA
Nach gegenseitigen Provokationen eskaliert der Konflikt zwischen USA und Iran. Die USA töten den iranischen General Qassem Soleimani bei einem gezielten Luftangriff. Soleimani war führender Kopf der Iranischen Revolutionsgarden. Er war Stratege militärischer Missionen im iranischen Einflussgebiet. Der Iran reagiert mit Raketenangriffen auf zwei US-Militärstützpunkte im Irak – und schießt versehentlich ein ukrainisches Passagierflugzeug über Teheran ab.
„Wut und Hilflosigkeit“
Das Regime schlug die Proteste blutig nieder. 7.000 Personen wurden verhaftet. Reuters berichtete von 1.500 Toten – der Iran dementiert. „Der innenpolitische Druck vonseiten großer Teile der Bevölkerung ist nicht gewichen“, sagt Fathollah-Nejad. Das Regime versuchte zuletzt, seine Macht mit antiamerikanischen und nationalistischen Parolen wieder zu stärken. Nachdem die USA am 3. Jänner General Qassem Soleimani – Kopf und Chefstratege bei Auslandseinsätzen der Islamischen Revolutionsgarden – bei einem gezielten Luftangriff in Bagdad getötet hatten, wähnte die Führung das Momentum auf ihrer Seite , beschwor den Volkszorn gegen den Erzfeind.
Doch im Eifer des Gefechts bombardierte man eben nicht nur zwei US-Militärstützpunkte im Irak, sondern schoss auch ein ukrainisches Passagierflugzeug über Teheran ab. Alle 176 Insassen starben. Konnte die Propaganda-Maschinerie zuvor noch mit Märtyrer-Bildern von Soleimani samt groß inszenierten Trauermärschen punkten, kam es in Teheran wieder zu Protesten.
„Vor diesem Hintergrund ist die aktuelle Stimmung innerhalb der Bevölkerung eine Mischung aus Wut auf die Machthaber, Hilf- und Hoffnungslosigkeit“, sagt Fathollah-Nejad. Begonnen hat alles mit einer Protestwelle während der Jahreswende 2018. Damit sei ein „neues Kapitel in der Geschichte der Islamischen Republik aufgeschlagen“ worden.
Der Bodensatz: Jugendliche. Menschen unter 30 Jahren stellen zwei Drittel der Bevölkerung. „Die Jugendlichen wollen eine Verbesserung der wirtschaftlichen Situation, unter der sie überdurchschnittlich leiden, zudem auch größere Freiheiten, um ein selbstbestimmtes Leben führen zu können“, sagt Fathollah-Nejad und meint mit Blick in die iranische Zukunft: „Es gibt nur noch Phasen der Ruhe vor dem nächsten Sturm.“
Wahlboykott
Die Arbeitslosenrate unter Jugendlichen und Akademikern ist im weltweiten Vergleich rekordverdächtig. Irans Wirtschaft ächzt unter Sanktionen. Diese sollten eigentlich im Zuge des Wiener Atomabkommens von 2015 aufgehoben werden.
Der Deal: Der Iran reichert nur noch so viel Uran an, dass er definitiv keine Atomwaffen bauen kann. Ein schlechter Deal, befand US-Präsident Donald Trump. Die USA stiegen 2018 aus, verstärkten die Sanktionen. Die iranischen Ölexporte brachen um 90 Prozent ein. Alleine im Jahr 2019 schrumpfte die Wirtschaft um neun Prozent. Nahrung ist teuer, Benzin bekanntlich auch, Medikamente sind rar.
Dass sich der moderate Präsident Rouhani mit den Großmächten an den Verhandlungstisch setzte und den Willen zur Öffnung zeigte, hat den Iran nicht gerettet – im Gegenteil. Die humanitäre Lage ist verzwickt.
Diverse Gruppierungen haben bereits angekündigt, die Parlamentswahlen zu boykottieren. Nicht nur das Endergebnis, auch die Wahlbeteiligung ist am kommenden Freitag wichtiger Indikator beim Stimmungstest.
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