Eine der lautesten Kritikerinnen ist Hatice Cengiz, die ehemalige Verlobte Khashoggis, der im Herbst 2018 im saudischen Konsulat in Istanbul seine Hochzeitspapiere abholen wollte und das Gebäude nie wieder verließ. Bidens Besuch werde „an Autokraten in der ganzen Welt die Nachricht aussenden, dass sie Journalisten inhaftieren, foltern und sogar ermorden können, ohne dass dies irgendwelche Folgen hätte“, schrieb Cengiz in der Washington Post.
In demselben Medium unternahm Biden den Versuch, die Wiederannäherung an Riad als Gebot der Stunde darzustellen. Um eine Schlüsselmacht im Nahen Osten dem Zugriff Chinas und Russlands zu entwinden. Und um gleichzeitig den gemeinsamen Kampf gegen den Iran zu konsolidieren.
Keine Rede war im Artikel jedoch davon, dass Biden hinter verschlossenen Türen dezent auf eine Erhöhung der saudischen Ölproduktion drängen wird, um rechtzeitig vor den Zwischenwahlen im Kongress Anfang November die US-Pendler zu entlasten.
Ohnehin versucht das Weiße Haus, die Nahost-Visite in einen größeren Kontext zu rücken. So erklärte Biden am Rand des NATO-Gipfels in Madrid, es gehe darum, „Israels Integration in die Region zu vertiefen“. Der zwischenzeitlich zurückgetretene israelische Regierungschef Naftali Bennett etwa schloss nicht aus, dass das neue Laser-Raketenabwehrsystem „Iron Beam“ auch arabischen Staaten zur Verfügung gestellt werden könnte, die vom Iran bedroht werden. Biden wird darüber mit Interims-Premier Jair Lapid sprechen.
Nur am Rande wird der Uralt-Konflikt mit den Palästinensern eine Rolle spielen. Zwar besucht Biden den Vorsitzenden der palästinensischen Autonomiebehörde, Mahmud Abbas, einen substanziellen Vorstoß für eine Zwei-Staaten-Lösung wird es aber nicht geben.
Bereits im Frühjahr legten die Amerikaner gemeinsam mit Israel und den Vertretern von sechs arabischen Ländern bei einem Geheimtreffen die Grundlagen für eine Annäherung tief verfeindeter Parteien. Dabei waren auch Saudi-Arabien und Katar, die beide offiziell keine diplomatischen Beziehungen zu Israel pflegen. Itamar Rabinovich, früher israelischer Botschafter in Washington, spricht von „einer neuen Nähe zwischen Israel und den Golfstaaten.“ Die Frage sei, ob die USA aus vielen Einzelteilen einen neuen, stabilen Verbund machen können.
Unterdessen gehört in Washington die Kritik an Saudi-Arabien fest zum Straßenbild: Das Stück der New Hampshire Avenue, an der die saudische Botschaft ansässig ist, heißt nun demonstrativ „Jamal Khashoggi Way“. US-Experten sagen dagegen: „Mit einer wegen Khashoggi feindlichen Grundstimmung gegenüber Riad wird Biden die Saudis nicht dazu bringen, den Grundstein für eine Art nahöstlicher NATO zu legen“. D. Hautkapp, Washington
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