Demokraten-Parteitag in Chicago: Kamala Harris und Stars gegen Trump
Wenn Amerikas Demokraten ab Montag im streng abgeschirmten „United Center” in Chicago zu ihrem Nominierungs-Parteitag für die Präsidentschaftswahl im November zusammenkommen, liegen politisch die turbulentesten und folgenreichsten vier Wochen der jüngeren amerikanischen Geschichte hinter der Partei mit dem Esel im Wappen.
Nach dem historischen Verzicht auf die Kandidatur für eine zweite Amtszeit durch Amtsinhaber Joe Biden, der nach einem missratenen TV-Duell mit Donald Trump aus Altersgründen auf Druck aus den eigenen Reihen den Weg freimachte, musste das Drehbuch für die viertägige „convention” mit rund 5000 Delegierten am Ufer des Michigans-Sees im Eiltempo umgeschrieben werden. Das gelang, wie US-Medien urteilen, sensationell geschmeidig und zielbewusst.
Ohne öffentliche Grabenkämpfe, böses Blut oder konkurrierende Bewerbungen versammelte sich die Partei in Windeseile hinter der bis dahin oft angezweifelten Vize-Präsidentin Kamala Harris.
Kamala Harris erhielt 99 Prozent der Stimmen
Die 59-Jährige wurde bereits vor Tagen bei einem „virtual roll-call” (Online-Abstimmung) offiziell zur Kandidatin für den 5. November ausgerufen. Sie erhielt 99 % der Stimmen. Das Gerede um eine mögliche Kampfabstimmung, bei der mehrere Alternativ-Kandidaten in Chicago ihren Hut in den Ring werfen würden, ist Makulatur.
Mit dem Eliten-fernen, volksnahen Gouverneur des Bundesstaates Minnesota, Tim Walz, präsentierte Harris einen überraschenden Vize-Präsidentschaftskandidaten. Der 60-Jährige aus dem Mittleren Westen verkörpert als ehemaliger Highschool-Lehrer, langjähriger National-Gardist, Ex-Football-Coach und leidenschaftlicher Fasanen-Jäger eine bis weit ins konservative Lager hinein ideologisch anschlussfähige Bodenständigkeit. Sie soll den Demokraten gerade in den ländlich-industriell geprägten „Rostgürtel”-Bundesstaaten auf die Butterseite fallen.
Spuren aus den früheren Obama-Yes-we-can-Jahren
Der erste Auftritt mit Tim Walz, der sich als mitreißender Redner und Sympathiebolzen erweist, hatte Spuren-Elemente der Euphorie aus den frühen Obama-Yes-we-can-Jahren. Spaß und Zuversicht regieren plötzlich den demokratischen Gefühlshaushalt. Die Verzagtheit, gewachsen durch Bidens regelmäßige Aussetzer, ist Geschichte.
Seit dessen Rückzug und der Kür von Harris im Eiltempo fließt bei den Demokraten das Spendengeld in Strömen. Allein im Juli nahm Harris über 300 Millionen Dollar ein. Die Umfragen verheißen neue Zuversicht für die Partei, die über Monate nur auf die Rücklichter des davon eilenden Zuges von Herausforderer Donald Trump blicken konnte.
Harris vielerorts marginal in Führung
Wo Amtsinhaber Biden national wie auch in den voraussichtlich sechs bis sieben wahlentscheidenden Bundesstaaten von Nevada bis Michigan konstant und teilweise deutlich hinter Donald Trump rangierte, sind die Abstände ausgeglichen worden. Zunehmend liegt Harris sogar vielerorts marginal in Front.
Aufbruchsstimmung im Wahlvolk links der Mitte
Wie nachhaltig das ist und ob Harris/Walz das konkurrierende Gespann Trump/Vance übertrumpfen können, ist rund 80 Tage vor der Wahl noch nicht auszumachen. Gleichwohl herrscht im Wahlvolk links der Mitte Aufbruchsstimmung. Junge, Alte, Afro-Amerikaner und auch Weiße mit niedrigem Bildungsabschluss können sich für Harris erwärmen. Die Schlussphase des Präsidentschaftswahlkampfes, der noch vor einem Monat den Stempel der abtörnenden Langeweile trug, ist völlig neu konfiguriert.
Kurz vor dem 250-jährigen Bestehen der Vereinigten Staaten scheint die Aussicht auf die erste Präsidentin in der Geschichte der Supermacht für manche zum Greifen nahe. Eine Garantie für den Sieg am 5. November gegen Donald Trump ist die Stimmungslage nicht. David Axlrod, früherer Chefberater von Barack Obama, charakterisiert den Höhenflug der 59-Jährigen als „irrationalen Überschwang”. Sein Tenor und der vieler US-Kommentatoren: Die echten Stolpersteine kommen erst noch.
Gerüchte um Auftritt von Beyoncé und Taylor Swift
Bei dem Parteitag im „Wohnzimmer” Obamas, der in Chicago seine Karriere begann, und zu dem gut 50 000 Delegierte, Journalisten und politische Gäste aus aller Welt erwartet werden, wird es darum gehen, „die Euphoriewelle der vergangenen Wochen zu konservieren und alle Kräfte geschlossen gegen Donald Trump zu bündeln”, sagte ein Berater der Harris-Kampagne in Washington. Hartnäckig halten sich Gerüchte, dass zwei pop-kulturelle Super-Stars - Beyoncé und Taylor Swift - Harris ihre Referenz erweisen und für einen neuerlichen Vitaminschub sorgen könnten. Über allem schwebt das Zauberwort „joy” - Spaß.
Harris versucht Trump durch dosierten Spott zu entwaffnen
Anders als Joe Biden, der in Trump die Bedrohung schlechthin für die amerikanische Demokratie sieht, versucht Team Harris den Gegner durch dosierten Spott zu entwaffnen und zu entdämonisieren.
Das von Vize-Präsidentschaftskandidat Tim Walz auf Trump & Co. gemünzte Zauberwort „weird” (was sowohl „seltsam” und „komisch", aber auch „nicht ganz bei Trost” oder „spinnert” bedeuten kann) ist bereits fester Bestandteil des demokratischen Wahlkampf-Sprechs.
Dass Harris Trump das Demokratiezerstörerische abschminkt, behagt in der Partei nicht jedem, gefällt aber, wie Umfragen nahelegen, parteiunabhängigen Wählern, die mit dem Krieg der Worte zwischen Demokraten und Republikanern in den vergangenen Monaten nichts mehr anfangen konnten.
Joe Biden wird sich feiern lassen
Am Auftaktabend (19. August) hat Joe Biden nach einer Ansprache von Ex-First Lady Hillary Clinton seine große Stunde. Der Amtsinhaber wird den Delegierten die Beweggründe für seinen von Parteioberen wie Nancy Pelosi erzwungen Kandidaturverzicht darlegen, Bilanz und Ausblick geben und sich für eine über 50 Jahre währende Karriere feiern lassen. Hoher Tempotaschentuch-Faktor programmiert. Hoffnung der Parteispitze: Bitte keine Versprecher - oder gar einen Black-out.
Partei ist Biden zutiefst dankbar
Die Partei ist dem 81-Jährigen zutiefst dankbar, 2020 Trump verhindert zu haben. Dass er sich nach dem verkorksten TV-Duell mit Trump lange erbittert den Forderungen nach Rückzug widersetzte, ist so gut wie vergeben und vergessen.
Barack Obama hält am Dienstagabend zentrale Rede
Biden gilt nun als derjenige, der Kamala Harris den Staffelstab anvertraut hat - und damit der potenziell ersten Präsidentin in der Geschichte der USA. Am Dienstagabend hält Barack Obama die zentrale Rede. Der Ex-Präsident wird Biden mit Lobeshymnen überschütten und Harris Kränze flechten. Der Mittwoch schließlich gehört erst Ex-Präsident Bill Clinton und danach Vize-Präsidentschaftskandidat Tim Walz. Am Schlusstag, alte Tradition, schaut alles auf die Rede, mit der Kamala Harris offiziell ihre vor fünf Wochen noch undenkbare Präsidentschaftskandidatur annehmen wird.
Krieg zwischen Israel und Hamas stellt Unsicherheitsfaktor dar
Der nach wie vor heiße Krieg zwischen Israel und der radikal-islamischen Hamas stellt den größten Unsicherheitsfaktor vor dem Parteitag dar. Zehntausende Demonstranten haben sich angekündigt. Sie verlangen von Harris ein Bekenntnis, die israelische Militärmaschine zu stoppen und palästinensische Zivilisten zu schützen.
Gewalttätige Ausschreitungen sind bei den diversen Protest-Aktionen nicht ausgeschlossen. Die Polizei in Chicago ist mit einem XXL-Aufgebot vorbereitet. Hässliche Szenen wie beim Parteitag 1968 an gleicher Stelle sollen sich nicht wiederholen.
Kamala Harris wird sich Chicago übrigens schrittweise nähern. Am Sonntag startet sie gemeinsam mit Ehemann Doug Emhoff und Tim Walz nebst Gattin Gwen in Pittsburg/Pennsylvania eine Bustour mit Zwischenstopps. Es soll der erste Triumphzug auf dem Weg in ein neues Amerika werden.
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