Die Szenarien im Drama um Joe Biden

„Zum ersten Mal schien er mich nicht zu erkennen.“ Das sagte der demokratische Abgeordnete Seth Moulton aus dem US-Bundesstaat Massachusetts über seine Begegnung mit US–Präsident Joe Biden im heurigen Juni bei den Feierlichkeiten zum 80. Jahrestag der Landung der Alliierten in der Normandie. Und es veranlasste den Politiker nun den Rückzug des 81-Jährigen zu fordern, damit der Weg für einen neuen Präsidentschaftskandidaten frei werde.
Auch Obama ist skeptisch
Moulton ist nur einer von immer mehr Demokraten, die auf diesen Schritt drängen – bis hinauf zum obersten Parteiestablishment, etwa in Person von Chuck Schumer, Fraktionsführer im US-Senat. Selbst Ex-US-Präsident Barack Obama soll seinem früheren Vize nahegelegt haben, auf eine Kandidatur bei dem Urnengang vom 5. November zu verzichten.
Der allgemeine Tenor: Biden sei nicht mehr fit genug für das Amt.
Doch er selbst, der in seinem Privathaus in Rehoboth, Delaware, gerade eine Covid-Erkrankung auskuriert, sieht das anders und denkt offenbar (noch) nicht daran. „Ich freue mich darauf, nächste Woche wieder auf Wahlkampftour zu gehen“, ließ er seine Landsleute und Parteifreunde wissen. Doch was, wenn sich der Druck noch steigern und ein Rückzug unvermeidlich werden sollte? Hier die Szenarien:
Was passiert, wenn Joe Biden jetzt als Präsidentschaftskandidat zurücktritt? Der amtierende Präsident hat zwar bei den parteiinternen Vorwahlen die nötigen Stimmen bei Weitem gewonnen – doch im Falle eines Verzichtes wären die Delegierten beim Nominierungsparteitag vom 19. bis 22. August in Chicago natürlich komplett frei in ihrer Entscheidung.
Dass es dabei aber nicht zu einem Selbstzerfleischungsprozess kommt, geht man davon aus, dass man sich bereits im Vorfeld auf einen Kandidaten oder eine Kandidatin einigt, die dann auf den Schild gehoben wird.

Der scheidende US-Präsident Biden empfahl Vizepräsidentin Kamala Harris als Kandidatin
Wird die aktuelle Vize Kamala Harris automatisch Präsidentschaftskandidatin? Nein, das wäre nur der Fall, wenn Biden als Präsident zurückträte, amtsunfähig würde oder stürbe.
Dennoch hat die 59-Jährige Chancen: Für sie spricht, dass sie als Tochter eines eingewanderten Jamaikaners und einer indischen Mutter ethnische Minderheiten anziehen dürfte. Zudem könnte sie auf die Wahlkampfspenden, die bisher auf Bidens Konto eingingen, zugreifen, da sie als dessen Stellvertreterin ja selbst Teil der Kampagne war.
Gegen sie spricht, dass sie schlechte Umfragewerte hat. Und dass eine erste schwarze Präsidentin in einem immer konservativer werdenden Amerika derzeit wohl schwer vorstellbar ist.
Was wären die Alternativen? Seit einiger Zeit geistern mehrere Namen durch das Politgefüge der US-Demokraten. Allen voran der Gouverneur des Bundesstaates Kalifornien, Gavin Newsom, 56.

Gavin Newsom ist derzeit Gouverneur von Kalifornien
Auch die Gouverneurin des Bundesstaates Michigan, Gretchen Whitmer, 52, wird immer wieder genannt.

Gretchen Whitmer ist derzeit Gouverneurin von Michigan
Neben vielen anderen gilt auch der bekennende Homosexuelle Pete Buttigieg, 42, aktuell US-Verkehrsminister, als hochkarätige Personalreserve der Demokraten.

Pete Buttigieg ist derzeit US-Verkehrsminister
Gemein ist diesen Politikern, dass sie landesweit kaum bekannt sind – und gegen Donald Trump antreten müssten, den in den USA gleichsam jedes Kind kennt.
Könnte Biden auch nach seiner Nominierung auf dem Parteitag noch auf eine Kandidatur verzichten? Ja, das würde aber ein kompliziertes Procedere in Gang setzen: In dem Fall wäre die Parteiführung am Zug.
Das „Democratic National Committee“ (DNC) hat aber mehrere Hundert Mitglieder mit Vertretern aus allen Bundesstaaten. Wenige Wochen vor dem Urnengang würde ein wohl mühsamer Prozess anlaufen.
Zudem könnte es manchem übel aufstoßen, dass eine so wichtige Entscheidung in diesem Gremium getroffen wird. Um das zu verhindern, wäre es auch denkbar, einen weiteren Nominierungsparteitag einzuberufen – falls dies zeitlich und logistisch noch machbar wäre.
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