„Gott an meiner Seite“
Mit demutsvoll klingender Stimme berichtete Trump, wie es war, als eine Gewehrkugel sein Ohr streifte und er nur knapp dem Tod von der Schippe sprang. Wie auf einmal alles voller Blut gewesen sei. Wie die Agenten vom Secret Service sich aufopferungsvoll auf ihn gestürzt hätten, um ihn zu schützen. Wie er merkte, dass das Publikum bei ihm blieb. „Ich fühlte mich sicher, ich hatte Gott an meiner Seite.“ Ohne ihn stünde er heute nicht hier.
Um dem bei dem Attentat ums Leben gekommenen Firefighter Corey Comperatore zu gedenken, küsste Trump melodramatisch eine Feuerwehrmann-Uniform und kündigte eine Millionenspende für die Angehörigen an. Szenen, die in der von über 15.000 Menschen besuchten Arena am späten Donnerstagabend für Tränen sorgten.
Allein, mit fortlaufender Redezeit verfiel der Republikaner in alte Muster. Er lieferte statt der fest versprochenen Gesten von Einheit und Versöhnung polemische Attacken gegen die regierenden Demokraten. Leitsatz: „Die zehn schlimmsten Präsidenten dieses Landes sind zusammen genommen nicht so furchtbar wie Joe Biden.“ Fakten-Checker von CNN und Washington Post ermittelten über 25 Lügen und Tatsachenverdrehungen in Trumps Ansprache, in der er einen „fantastischen Wahlsieg“ im November versprach.
Selbst Republikaner kritisierten das. „Anstatt anzuerkennen, dass die USA unter Biden wirtschaftlich weltweit unangefochten stark aus der Corona-Pandemie hervorgegangen sind, hat Trump erneut völlig unnötig das Zerrbild eines apokalyptischen, kaputten Landes gezeichnet, das angeblich von Einwanderer überrannt wird und dem Untergang geweiht ist“, sagte ein moderater Republikaner aus Missouri zum KURIER. „Auch wenn es weiter große Probleme gibt – das stimmt doch alles nicht. Wie will man damit unentschlossene Wähler gewinnen?“
Erleichterung bei Demokraten
Linksliberale Wahlkampf-Strategen wie Axlrod zeigten sich erleichtert, dass es Trump persönlich war, der den ansonsten stromlinienförmig harmonischen Parteitag „verschattet“ habe. Das gebe den wegen Joe Biden beinahe paralysierten Demokraten „neue Luft und Ansätze, gegen Trump zu punkten“.
Fragt sich nur, mit wem. Während sich die Republikaner fast wie eine Glaubensgemeinschaft um ihren politischen Religionsführer scharten, mehren sich bei der Regierungspartei die Anzeichen, dass Biden in den nächsten Tagen seine Kandidatur aufgeben und den Weg für Vizepräsidentin Kamala Harris freimachen könnte. Bidens Entscheidung sei nicht abgeschlossen, soll Nancy Pelosi, Ex-Sprecherin des Repräsentantenhauses, zu Parteifreunden gesagt haben. Aber der Präsident neige allmählich der parteiintern verbreiteten Beurteilung zu, dass sein Verbleib Trump ins Amt verhelfen und den Demokraten im Kongress eine verheerende Niederlage bringen könnte.
Harris könnte – vorausgesetzt Biden entbindet die ihm verpflichteten 3.900 Delegierten – mit einem eigenen Vize-Präsidentschaftskandidaten antreten. Senator Mark Kelly (Arizona), ein ehemaliger Astronaut, sowie die Gouverneure Andy Beshear (Kentucky) und Roy Cooper (North Carolina) werden bereits gehandelt.
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