Corona-Zahlen in Israel explodieren dramatisch
Im März noch weltweites Vorbild im Kampf gegen die Corona-Pandemie, erlebt Israel aktuell wieder schwere Zeiten: Derzeit steigt die Zahl der Infizierten so stark, dass nur noch die USA und Chile im globalen Vergleich schlechter dastehen. Premier Benjamin Netanjahu, der sich zuvor zum Helden in der Corona-Krise stilisiert hatte, hat derzeit wenig zu sagen zu dem Thema. Diesmal bleiben aber auch die extremen Warnungen der Experten aus. Der Mediziner Roni Gamsu, Chef des Tel Aviver Ichilov-Hospitals: „Die Lage ist ernst, aber nicht apokalyptisch.“
Im Mai noch wurde kritisiert, dass die Zahl der Corona-Tests in Israel weit niedriger sei als in vergleichbaren westlichen Staaten. Im Juni wurden die Tests stark ausgeweitet. Ein damit verbundener Anstieg der Zahl nachweislich Infizierter war die nicht unerwartete Folge. Deren Zahl liegt nach dem Anstieg heute etwa gleich mit der in Österreich. Doch ist die Zahl der Toten in Israel nicht einmal halb so hoch wie die Österreichs.
Polizei greift durch
Auch ein Blick auf die Risikogruppen birgt Hoffnung: Die große Mehrheit der Neuinfizierten ist 20 bis 35 Jahre alt. Weshalb wohl auch die Zahl der Schwerkranken und künstlich Beatmeten nicht dramatisch anstieg. Zurzeit stehen mehrere Kleinstädte und Stadtviertel als nachweisbare Infektionsherde unter Teilquarantäne. Darunter immer noch auffallend viele strengfromme Wohngebiete.
In den arabischen Ortschaften, die zu Beginn ebenfalls stärker betroffen waren, verbesserte sich die Lage. „Wir müssen vorsichtiger sein und mehr tun, um uns zu schützen“, mahnte der Vorsitzende der Arabischen Einheitsliste, Ayman Oude, Ende Juni. Nicht ohne spürbaren Erfolg. Alles in allem: In der ersten Corona-Welle blieb die Peripherie weitgehend verschont. In der neuen Welle aber nicht.
130 Euro ohne Maske
Und die Polizei greift wieder härter durch gegen Personen, die die Schutzmaßnahmen missachten. In der Nacht zum Montag verschärfte die Regierung die Gangart: 130 Euro zahlt jetzt, wer ohne Schutzmaske erwischt wird. In seiner letzten Rede an die Corona-Nation warnte Netanjahu noch vor der spürbaren Disziplinlosigkeit der Israelis. Diese zeigen sich aber mittlerweile immer ein- und umsichtiger. Kellner achten verstärkt auf den Mindestabstand in Restaurants. In öffentlichen Räumen wird leicht zum Paria, wer keine Maske trägt.
Fehler der Regierung
Dagegen häufen sich Nachweise auf Fahrlässigkeit der Regierung. Deren Beitrag zum viel kritisierten Chaos wächst. Fast die gesamte Führung des Gesundheitsministeriums trat zurück oder wurde vom neuen Minister zurückgetreten. Aber auch die neue Führung stottert: So wurde der öffentliche Nahverkehr aufgefordert, mit nur halb vollen Bussen ohne Klimaanlage und mit offenen Fenstern zu fahren. „Die kennen nur noch ihre Dienstwagen“, mokierte sich ein Busfahrer. Busfenster lassen sich in Israel seit Jahren nicht mehr öffnen und Klimaanlagen filtern Staub besser als offene Fenster. Später wurde die Anordnung wieder zurückgenommen.
Russisches Lebenswasser
Noch kurioser: Ayoub Kara, bis vor wenigen Monaten noch Minister, kündigte nach seiner Rückkehr von einem Moskau-Besuch den Import von russischem Lebenswasser an: „Es wird in Moskau auf Märkten verkauft und schützt vor Corona-Ansteckung wie eine Impfung.“ Ein Radio-Moderator vermutete danach eine Verwechslung – „zwischen Wodka und Wasser.“
Es geht aber noch schlimmer: Die Pause zwischen den Corona-Wellen ließ die Regierung ungenutzt verstreichen. Wieder fehlt es an Schutzkleidung in den Spitälern. Das Kabinett drängte in dieser Zeit auf eine stärkere digitale Ortung mutmaßlich Infizierter durch den Geheimdienst. Der sträubte sich, ortet jetzt aber doch. Doch die so aufgespürten Corona-Kontakte haben kein arbeitsfähiges Callcenter, wo sie sich beraten lassen können. Tausende in der Warteschleife, Tausende in potenziell unnötiger Quarantäne.
Notstandsverordnungen
Eines aber schaffte die Regierung: Seit Montag muss sie ihre Notstandsverordnungen nicht mehr vom Parlament absegnen lassen. Der Kontrollverzicht der Gesetzgeber über die Exekutive gilt zunächst bis August für einen Monat. Sind die Beschlüsse der Regierung nach einer Woche immer noch nicht vom Parlament bestätigt, werden sie automatisch ungültig. Die Opposition spricht trotzdem von „nordkoreanischen Zuständen“.
Netanjahu schweigt dazu, aber in Umfragen sank seine Popularität – zum ersten Mal seit fast 18 Monaten.
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