Chinas Präsident besucht ein Dorf - und verändert es für immer
Xi Jinping wird verehrt wie kein anderer kommunistischer Parteichef seit Mao Zedong. Der KURIER besuchte ein Dorf, in dem der Personenkult besonders greifbar ist.
Das Dorf Dongshan mit seinen 3.000 Einwohnern gilt als Vorzeigegemeinde für das ländliche China. Im Herzen der Provinz Hubei schmiegt es sich an einen bewaldeten, 40 Meter hohen Hügel, der von Dutzenden, kleinen Seen umringt ist. Darin züchten die Dorfbewohner Fisch und bauen Lotuspflanzen an – deren dicke, knollenartige Wurzeln hier besonders herzhaft schmecken.
Doch Dongshan ist nicht für seine Küche bekannt. Ein Werbefilm im Gebäude der Bezirksverwaltung zeigt dagegen, was diesen Ort so besonders macht. Er ist aufwendig inszeniert. Drohnenaufnahmen zeigen einen Mann, der auf einem Fahrrad durch die Landschaft fährt, begleitet von traditioneller Flötenmusik.
“Hier bin ich aufgewachsen, dies ist mein Dorf, ich kenne diese Wälder schon mein ganzes Leben“, sagt eine Stimme aus dem Off. Dann blickt der Mann in die Kamera. “Und ich hätte niemals gedacht, dass der Parteivorsitzende sie einmal besuchen würde.“
Der Präsident und Parteichef im blauen Kurzarmhemd
Xi Jinping, Chinas mächtiger Partei- und Regierungschef, besichtigte Dongshan an einem Nachmittag vor elf Jahren. Vieles erinnert heute noch an jenen Tag, der das Schicksal des Dorfes für immer verändert hat.
Es ist der 22. Juli 2013, Xi ist erst seit einem halben Jahr Vorsitzender der Kommunistischen Partei, als er bei einem Besuch der Hubei-Provinz auch in Dongshan Halt macht. In einem Besprechungsraum im ersten Stock des Rathauses trifft sich Xi mit einigen Dorfbewohnern für einen halbstündigen Austausch. Daraus werden 50 Minuten, wie man sich im Dorf noch Jahre später erzählen wird.
Xi will an diesem Tag nicht der übermenschliche Staatschef sein. Er ist nahbar, trägt statt Anzug und Krawatte ein kurzärmeliges, blaues Hemd und setzt sich nicht auf den Ehrenplatz, der sich gemäß der chinesischen Tradition direkt vor dem Wandbild befindet. Zeugen werden später detailliert von den Gesprächen erzählen, die der Parteichef mit den Dorfbewohnern führt.
„Was war der schönste Moment in Ihrem bisherigen Leben?“, fragt Xi etwa einen alten Herren. Der antwortet: „Dass ich hier heute neben Ihnen sitzen darf.“ Der Präsident lacht, dann fragt er: „Und was wünschen Sie sich für die Zukunft?“ Der Mann antwortet: „Dass auch meine Kinder einmal die Möglichkeit haben werden, neben Ihnen zu sitzen.“
Anekdoten wie diese machen im Ansatz greifbar, wie groß die Strahlkraft chinesischer Präsidenten ist. Heute, elf Jahre nach seinem Besuch in Dongshan, steht Xi gerade am Beginn seiner dritten Amtszeit, als erster Chinese seit Staatsgründer Mao Zedong. Alle anderen Vorgänger überstrahlt der 70-Jährige auch in seinem eigenen Selbstverständnis.
Die kommunistische Partei befeuert den Personenkult um Xi Jinping in jedem Winkel des Landes. Seine „Gedanken zum Sozialismus chinesischer Prägung“ sind in allen Schulen Pflichtlektüre, selbst in Kinderliedern wird „Onkel Xi“ besungen.
Liangjiahe, ein Dorf im Norden, in dem er als Jugendlicher einst auf einem Feld arbeiten musste, ist zu einer Pilgerstätte für Inlandstouristen geworden. Auch der Sitzungsraum im Rathaus von Dongshan wird seit jenem 22. Juli 2013 nicht mehr genutzt.
Wer so wichtig ist, kann in den Augen der meisten Chinesen keine beiläufigen Termine wahrnehmen. Jedem Wort aus dem Mund des „Obersten Führers“ wird daher größte Bedeutung zugemessen.
Xis Besuch hat das Leben der Dorfbewohner verändert
So auch Xi, der damals in Dongshan seine Vision für das ländliche China formulierte: Dörfer sollten ihren Bewohnern „Grüne Hügel, sauberes Wasser und ein Gefühl von Nostalgie“ bieten. Was für europäische Ohren wie eine Floskel klingen mag, gilt in China als Abkehr vom bisherigen "Wachstum um jeden Preis" - und als Beginn einer umweltbewussteren Entwicklung auf dem Land.
Die Worte des Präsidenten verstand man in Dongshan als Befehl - und nicht nur dort: Das Dorf erhält seither enorme Fördergelder aus der Bezirkshauptstadt Ezhou und der Provinzhauptstadt Wuhan. Das Geld floss in den Naturschutz, in die Bewaldung, ein neues Stadtzentrum, Hotels und einen modernen Campingplatz.
Denn Xis Besuch machte auch chinesische Touristen auf Dongshan aufmerksam. Das jährliche Durchschnittseinkommen der Bewohner lag 2013 noch bei 26.000 Yuan (3.200 Euro). Heute ist es mehr als zehn Mal so hoch.
Die Menschen in Dongshan wissen, wem sie das zu verdanken haben. Im Erdgeschoss des Rathauses ist Xis Besuch heute eine rote Wand gewidmet, darauf heißt es nicht umsonst: "Wir müssen uns oft an den Besuch des Generalsekretärs erinnern und unsere Dankbarkeit für sein aufrichtiges Vertrauen regelmäßig zum Ausdruck bringen."
Doch damit nicht genug - schließlich hatte Xi einst auch von einem "Gefühl von Nostalgie" gesprochen. Und die Interpretation, ob dieser Wunsch umgesetzt wurde, wird in China nicht dem Zufall überlassen.
Ein Museum für Xi Jinpings Wunsch nach "Nostalgie"
Am Rande des Dorfes erhebt sich deshalb ein modernes Gebäude mit geschwungenem Dach und holzvertäfelten Wänden: Es ist das "Museum der nostalgischen Erinnerungen".
In diesem Museum steckt Geld, das wird auf den ersten Metern klar. Bewegungssensoren erfassen die Besucher und lassen an bestimmten Stellen Geräusche aus einer längst vergangenen Zeit erklingen: Die Rufe des Zeitungsjungen, die alte Schulglocke, das Knacken der mit Holzkohle betriebenen Öfen, die in jedem Wohnhaus verbaut waren.
Zwischen all dem hängen immer wieder zwei Porträtfotos an den Wänden des Museums, es sind die beiden aus heutiger Sicht der kommunistischen Partei wichtigsten Chinesen: Mao Zedong und Xi Jinping.
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