Spricht man mit Chinesen über die Rolle des Staates, hört man immer wieder, er sei wie ein guter Vater: streng, aber fürsorglich. In einem Land, in dem es üblich ist, dass Eltern aktiv Partner für ihre Kinder suchen, bedeutet das: Wenn es um das Wohl der Familie geht, mischt sich Vater Staat auch in die Familienplanung ein.
Die Ein-Kind-Politik ist der Drei-Kind-Politik gewichen
China steckt in einer demografischen Krise, die Geburtenrate zählt zu den niedrigsten der Welt. Nach mehr als zweitausend Jahren hat man den Titel des bevölkerungsreichsten Landes 2023 ausgerechnet an den ungeliebten Nachbarn Indien verloren.
Ein schwerer Dämpfer für den Nationalstolz. Und ein schweres Hindernis für das Ziel, die USA irgendwann als dominierende Weltmacht abzulösen.
Lange hat Chinas Regierung versucht, positive Anreize für Familien zu schaffen, wieder mehr Kinder zu bekommen: Ab dem zweiten Kind gewährt der Staat eine längere Mutterkarenz und übernimmt einen Teil der Betreuungskosten; ab dem dritten Kind sogar die ganzen.
Feminismus als "ausländischer Einfluss"
Trotzdem können sich Studien zufolge weniger als drei Prozent der chinesischen Frauen unter 30 vorstellen, mehr als zwei Kinder zu bekommen. Hohe Lebenskosten und Ambitionen für eine eigene Karriere treffen auf ein noch immer weitverbreitetes, traditionelles Familienbild, bei dem vor allem von Frauen erwartet wird, sich um den Haushalt und die Pflege der Eltern und Großeltern zu kümmern – auch jener des Ehemannes.
Chinas Machthaber Xi Jinping, der hinter der Feminismusbewegung „ausländischen Einfluss“ vermutet, gab deshalb vor eineinhalb Jahren die neue Marschrichtung vor: „Wir müssen dem Weg der Frauenentwicklung chinesischer Prägung unbeirrt folgen und die Mehrheit der Frauen mobilisieren, damit sie ihre weibliche Stärke in den Modernisierungsschub Chinas einbringen.“
Solche Ansagen von oben sind zwar sperrig formuliert, aber durchaus als Befehl zu verstehen. Das hat zur Folge, dass niedere Parteikader in Provinzverwaltungen und Gemeinden versuchen, sich gegenseitig in ihrem Gehorsam zu überbieten.
"Familienplanungsbeamte" riefen bei jedem Paar sechs Mal an
Die Strukturen, mit denen der Staatsapparat Druck auf Familien ausüben kann, existieren schon lange: Seit den Achtzigerjahren gibt es in fast jeder größeren Gemeinde sogenannte „Familienplanungsverbände“, die einem nationalen Dachverband untergeordnet sind. Sie waren es, die einst die Ein-Kind-Politik umsetzten.
Heute haben diese Beamten den Auftrag, die neue „Fruchtbarkeitskultur“ durchzusetzen. Wie sich der Webseite des Dachverbandes entnehmen lässt, bekommen die Familienplanungsbeauftragten sogar leistungsbezogene Boni ausbezahlt, deren Höhe sich nach der Geburtenrate in ihrer Gemeinde richtet.
Miyun, ein Vorort Pekings, gilt als Vorzeigeort: Dort sind 500 dieser Beamten für gerade einmal 500.000 Einwohner zuständig. Stolz erklärt der Dachverband, dass die dortigen Mitarbeiter bei jedem registrierten Paar „im gebärfähigen Alter“ mindestens sechs Mal angerufen hätten.
Es gibt auch positive Aspekte
Doch die Beamten leisten auch Arbeit, die als hilfreich wahrgenommen wird: Sie organisieren kostenlose voreheliche Untersuchungen auf Erbkrankheiten, Schwangerschafts-Vorbereitungskurse und helfen werdenden Müttern dabei, einen Weg durch den Bürokratie-Dschungel zu finden. Für Männer gibt es sogar Haushaltskurse, bei denen auch über psychische Belastungen aufgeklärt wird, unter denen Mütter leiden, wenn Väter nicht mithelfen.
Trotzdem bleibt der Druck auf Frauen in China hoch, vor allem, da sich die Lage nicht bessert. Am Montag sorgte die neueste Hochzeitsstatistik für Nachhall: Mit 6,1 Millionen Eheschließungen waren es so wenige wie seit Beginn der Datenerfassung 1986 nicht mehr.
„Manche Menschen glauben, dass Heirat und Kinderkriegen reine Privatangelegenheiten sind“, schreibt der Familienplanungs-Dachverband deshalb auf seiner Webseite. „Diese Ansicht ist falsch und einseitig.“
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