Chinas Drohgebärden sind auch ein Zeichen der Schwäche
Dem chinesischen Premier Li Keqiang steht der Schweiß auf der Stirn, als er seine Eröffnungsrede zum Volkskongress hält: „Gegenwärtig und in der näheren Zukunft wird China vor Herausforderungen stehen wie nie zuvor“, warnt er in seiner Regierungserklärung vor den rund 2.980 Delegierten.
Auch wenn das Land verhältnismäßig rasch seinen Lockdown beenden und die Wirtschaft wieder hochfahren konnte, ist von Euphorie noch nicht viel zu merken. Im Vergleich zu den USA ist die Volksrepublik viel stärker von der globalen Wirtschaftslage abhängig – und dort ist noch nicht die Bewegung hineingekommen, die sich Peking wünscht.
Der chinesische Volkskongress kam zum ersten Mal im Jahr 1954 zusammen, seither findet er jährlich für etwa zehn Tage in der Großen Halle des Volkes am Platz des Himmlischen Friedens statt
2.980 Abgeordnete machen den Volkskongress zum größten Parlament der Welt. Allerdings ist es ein Scheinparlament. Tatsächlich ist es die Kommunistische Partei, die neue Gesetze entwirft und sie dem Volkskongress zur Prüfung vorlegt.
Zwar verkündet Li Keqiang Milliardenhilfen; sie fallen aber gemessen an der heutigen Wirtschaftsleistung deutlich geringer aus als nach der Weltfinanzkrise 2008.
Viele Beobachter hatten auf mehr Impulse gehofft. Darüber, wann die Talsohle durchschritten ist, scheint in China noch Unsicherheit zu bestehen. Auf ein Wachstumsziel für die Wirtschaft, wie es seit 2002 in jedem Jahr verkündet wurde, will sich die Führung dieses Mal lieber überhaupt nicht festlegen. Zu unsicher sind die Zeiten.
Streit mit den USA
Zwar räumt der Regierungschef selbstkritisch „viele Schwachstellen“ in der Reaktion auf den Ausbruch des Virus ein. Er schaltet aber sofort auf Defensive und verteidigt den Umgang Chinas mit dem Virus gegen Kritik aus dem Ausland.
Vor allem gegen Kritik aus den USA, wo Donald Trump beinahe täglich China für das Coronavirus verantwortlich macht. Die Situation dürfte vor allem im US-Präsidentschaftswahlkampf noch eskalieren. Der Ton verschärft sich mit jedem Tag. US-Außenminister Mike Pompeo, den Chinas Staatsmedien schlicht einen „Lügner“ nennen, beschreibt Chinas Führung im Gegenzug als „brutales, autoritäres Regime“.
Eines der zahlreichen Glutnester im Streit mit Washington ist die Situation in Hongkong, wo die Menschen seit mehr als einem Jahr gegen den wachsenden Einfluss Pekings protestieren. Dieser Widerstand soll nun stärker bekämpft werden: Neue Sicherheitsgesetze, die sich gegen „subversive Aktivitäten und ausländische Einmischung“ richten, sollen künftig für Ordnung sorgen. In Umgehung des Hongkonger Parlaments soll der Volkskongress die Gesetze erlassen. Selbst chinesische Sicherheitsorgane sollen dann in Hongkong eingesetzt werden können – ein klarer Bruch der bisherigen Autonomie nach dem Grundsatz „ein Land, zwei Systeme“, der seit der Rückgabe der britischen Kronkolonie 1997 an China gilt.
„Der Schritt, dass Peking ein eigenes Sicherheitsgesetz für Hongkong macht, kam nicht überraschend. Nach den monatelangen Massenprotesten im vergangenen Jahr war schon im Oktober der Auftrag dazu an die zuständige Kommission des Volkskongresses ergangen“, sagt ein europäischer Diplomat zum KURIER und erklärt die Begründung von chinesischer Seite: Hongkong sei seit 23 Jahren säumig, ein eigenes Sicherheitsgesetz zu liefern. Das Parlament in Hongkong habe sich nie auf etwas einigen können. „Peking argumentiert, dass China eine Rechtsbasis gegen subversive und terroristische Aktivitäten braucht. Auch für jene, die das mit Geld aus dem Ausland unterstützen“, berichtet er.
Protest-Aufrufe
Neue Massenproteste in Hongkong sind vorprogrammiert – in Aktivistengruppen kocht die Wut darüber, dass chinesische Sicherheitsorgane aktiv werden könnten. Direkte Einmischung Pekings wird aber auch in der breiten Bevölkerungsschicht nicht gerne gesehen. Auf die krisengebeutelte Sonderverwaltungszone dürften noch schwerere Zeiten zukommen.
„Ich glaube, das Gesetz ist für Hongkong eine Warnung, eine Rute im Fenster. Peking hat dann eine Rechtsbasis, um stärker gegen Kritiker und auch Randalierer vorzugehen“, sagt der Diplomat. An einen Armeeeinsatz glaubt er aber nicht.
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