China zu Gast in Berlin: Wie Deutschland vom "systemischen Rivalen" loskommen will
Chinas Nummer zwei, Li Qiang, will in Deutschland Geschäfte machen. Eigentlich sucht die Ampel wirtschaftliche Distanz zu Peking – wie das gelingen soll, ist unklar.
Es ist ein diplomatischer Drahtseilakt, dem sich die deutsche Bundesregierung, allen voran Bundeskanzler Olaf Scholz, in den kommenden Tagen stellen muss. Mitten in einer Phase, in der die deutsche Wirtschaft so abhängig von der chinesischen ist wie nie zuvor und die Diskussion über eine "Risikominimierung" in vollem Gange ist, steht hoher Besuch aus dem Reich der Mitte an.
Chinas Ministerpräsident Li Qiang, der neue zweitmächtigste Mann im Staat, führt drei Tage lang eine Delegation mit etlichen Ministern nach Berlin, wo am Dienstag zum ersten Mal seit fünf Jahren ein deutsch-chinesischer Regierungsgipfel stattfinden wird.
Abhängig wie nie zuvor
Das Reich der Mitte wird in Deutschland gleichzeitig als "Partner", "Wettbewerber" und "systemischer Rivale" angesehen. Eine Formulierung der EU, die sich auch in der ersten Nationalen Sicherheitsstrategie der Bundesrepublik wiederfindet, die vergangene Woche präsentiert wurde. Darin heißt es, das Verhältnis zur Volksrepublik sei zunehmend von "Elementen der Rivalität und des Wettbewerbs" geprägt. Die deutsche Wirtschaft müsse ihre Abhängigkeit von China verringern.
Nirgendwo in Europa ist die so groß wie in Deutschland. Wie das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) im Februar vorrechnete, sind deutsche Unternehmen für ihre Produktion momentan so stark auf chinesische Importe angewiesen wie noch nie, das Handelsdefizit verdoppelte sich im vergangenen Jahr auf 84 Milliarden Euro. Damit ist Deutschland schon jetzt erpressbar. Unter Präsident Xi Jinping hat Peking oft bewiesen, dass es seine wirtschaftliche Macht als geopolitischen Hebel nutzt.
Aber auch die eigene Wirtschaft macht der Ampel Druck: Jedes Mal, wenn deutsche Offizielle Kritik an Menschenrechtsverletzungen in China, an der Unterstützung Russlands oder an den Eroberungsdrohungen gegenüber Taiwan äußern, müssen deutsche Konzerne Gegenreaktionen befürchten. Vor allem das Herzstück der deutschen Wirtschaft, die Autoindustrie, ist massiv vom chinesischen Markt abhängig.
Damit das so bleibt, betreibt Chinas Regierung momentan eine groß angelegte Charmeoffensive: Seit Monaten strömen Massen an chinesischen Unternehmern und Diplomaten nach Europa, mit lukrativen Geschäftsideen im Gepäck. "Es ist im strategischen Interesse Chinas, jene Kräfte in Europa zu unterstützen, die eine Kooperation anpeilen. Damit treibt man auch einen Keil zwischen Europa und die USA", sagt Bernhard Bartsch vom Mercator Institut für Chinastudien (MERICS).
Auch Ministerpräsident Li schickte seinem Besuch zynischerweise die Nachricht voraus: "Wir hoffen, dass Deutschland von einer Politisierung gewöhnlicher Wirtschaftskooperationen“ sowie „einem Missbrauch der staatlichen Macht zur Einmischung in den Markt absieht".
Drei Tage weilt Li Qiang in Deutschland, dann geht es nach Frankreich.
84 Milliarden Euro betrug das Handelsdefizit zwischen China und Deutschland 2022 – um so viel mehr exportierte China nach Deutschland als umgekehrt.
Der Hamburger Hafen steht symbolisch für die Abhängigkeit Deutschlands: Die deutsche Regierung gestattete dem chinesischen Staatskonzern COSCO, 25 Prozent der Anteile an einem Pier im Hamburger Hafen zu kaufen. Schon jetzt wickelt COSCO den Großteil des Warenverkehrs in Hamburg ab, man war also faktisch gezwungen, heißt es, um den größten Kunden nicht zu verlieren.
Innerhalb der Ampel-Koalition wird deshalb trotz Nationaler Sicherheitsstrategie an einer expliziten China-Strategie gearbeitet. Grüne, allen voran Außenministerin Annalena Baerbock, und FDP fordern einen harten Kurs. Einzig Scholz’ SPD bremst wegen des Drucks der eigenen Wirtschaft, zuletzt etwa im Streit um den Verkauf eines Piers im Hamburger Hafen an den chinesischen Staatskonzern COSCO.
Experte Bartsch meint daher: "Die China-Strategie der Bundesregierung hätte zwingend vor den Regierungskonsultationen am Dienstag festgelegt werden müssen."
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