Chinesische Soldaten an der NATO-Grenze zu Polen: Was ist da los?
Fotos von Fallschirmspringern, Tauchmanövern, marschierenden Einheiten: Der Telegram-Channel des belarussischen Verteidigungsministeriums ist voller Fotos der Übung „Angreifender Falke“. Darauf zu sehen sind aber nicht nur weißrussische Soldaten, sondern auch chinesische – sie trainieren gemeinsam, und das gerade mal 30 Kilometer von Polen und 40 von der Ukraine entfernt.
Was passiert da gerade? Der KURIER beantwortet dazu die wichtigsten Fragen.
Warum schickt China Truppen an die NATO-Grenze?
China und Belarus haben schon öfter gemeinsame Militärübungen abgehalten, 2022 etwa nahmen Truppen beider Länder an der russischen Großübung Wostok teil, bei der ein halbes Jahr nach Kriegsbeginn 50.000 Soldaten im russischen Osten gemeinsam trainierten.
Eine gemeinsame Übung auf belarussischem Boden ist allerdings neu, ebenso die Nähe zur NATO. Die Übungen seien eine Reaktion auf die "aggressive Außenpolitik des Westens gegenüber Belarus" und auf "ukrainische Provokationen", ließ das Minsker Verteidigungsministerium wissen.
Das Regime von Aleksandr Lukaschenko ist der treueste Unterstützer Russlands in dessen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Selbst hat man zwar keine Truppen Richtung Kiew geschickt, aber etwa russische Atomwaffen auf eigenem Boden stationiert. China wiederum ist seit Kriegsbeginn Russlands wichtigste wirtschaftliche und diplomatische Stütze.
Was hat Belarus von der Übung?
Minsk geht es vor allem um Propaganda, in Richtung Westen wie in Richtung Russland. Zeitgleich zur Übung, die bis 19. Juli dauert, findet in Washington der große NATO-Jubiläumsgipfel statt, bei dem die belarussische Oppositionsführerin Switlana Tichanowskaja dabei ist – sie wurde von NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg eingeladen, will ihr Land Richtung Westbündnis führen.
Lukaschenkos Politik verfolgt das absolute Gegenteil, wodurch sich sein Land im Würgegriff Putins befindet. Eine militärische Annäherung an China kann ihm da vielleicht etwas Luft verschaffen: Erst vergangene Woche trat Minsk auch der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SCO) bei, der neben China und Russland auch einige zentralasiatische Staaten sowie der Iran, Pakistan und Indien angehören.
Dazu kommt die wirtschaftliche Perspektive. Seit Lukaschenko seine Wiederwahl 2020 inszenierte und die Aufstände der Bevölkerung blutig niederschlagen ließ, verschärft die EU immer wieder ihre Sanktionen, die Wirtschaft bröckelt. China ist da eine große Stütze.
Was hat China davon?
Die Volksbefreiungsarmee ist in vielen Dingen führend: Sie stellt mit mehr als zwei Millionen Soldaten das mit Abstand größte stehende Heer der Welt und verfügt über ein Verteidigungsbudget von fast 300 Milliarden US-Dollar, das nur von den USA übertroffen wird (allerdings um das Dreifache). Woran es Chinas Soldaten jedoch mangelt, ist Kampferfahrung.
Die gescheiterte Invasion in Vietnam 1979 war der letzte Krieg, an dem China direkt beteiligt war. Die letzten chinesischen Soldaten, die im Kampfeinsatz umkamen, starben 2020 nach einer Schlägerei mit indischen Grenzwächtern im Himalaya. Präsident Xi Jinping spricht deshalb gerne davon, Chinas Militär leide unter der "Friedenskrankheit".
Die Regierung in Peking nutzt also jede Gelegenheit, um mit kampferfahreneren Nationen gemeinsame Manöver zu proben. Aktuell findet zum Beispiel auch eine gemeinsame Übung der chinesischen und russischen Marine im Indopazifik statt.
Außerdem stützt China damit nach außen hin befreundete Staaten und provoziert ganz nebenbei die verhasste NATO.
Wie reagiert der Westen?
Vor allem in Polen nimmt man die Lage todernst. Schon am Mittwochabend teilte der Generalstab mit, die Zahl der Soldaten an der Grenze zu Belarus und der russischen Exklave Kaliningrad von 6.000 auf 17.000 aufzustocken.
8.000 Soldaten sollen künftig dauerhaft vor Ort sein, 9.000 weitere als „schnelle Grenzreaktionstruppe“ jederzeit einsatzbereit sein, um „mögliche Überraschungen“ abwehren zu können.
Ist das nun eine Bedrohung für den Westen?
Nein, nicht wirklich. Die Übungen zielen auf Propaganda, militärisch stellen sie keine tatsächliche Bedrohung dar. Wie viele chinesische Soldaten tatsächlich in Belarus trainieren, ist zudem schwer zu sagen: Offizielle Zahlen gibt es nicht, und auf den veröffentlichten Fotos sind keine großen chinesischen Truppen zu sehen.
Kommuniziert wird die Übung auch hauptsächlich in Belarus und Russland, Peking verhält sich auffallend zurückhaltend – ein weiteres Indiz dafür, dass hauptsächlich das Lukaschenko-Regime Nutzen daraus ziehen will.
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