"Buona sera": Zwischenbilanz zu zehn Jahren Papst Franziskus
Während gerade Vorwürfe der Missbrauchsvertuschung einen Schatten auf Johannes Paul II. (betreffend seine Zeit als Erzbischof von Krakau in den 1970er-Jahren) werfen, jährt sich die Wahl des argentinischen Kardinals Jorge Mario Bergoglio auf den Stuhl Petri zum zehnten Mal. Nach nur fünf Wahlgängen wurde der Jesuit schon am zweiten Tag des Konklaves zum Nachfolger des überraschend zurückgetretenen, kürzlich verstorbenen Benedikt XVI. bestimmt. Die KURIER-Redakteure Walter Friedl (Außenpolitik) und Rudolf Mitlöhner (Innenpolitik) – beide ausgebildete Theologen – werfen einen kritischen Blick auf das Pontifikat des heute 86-Jährigen.
Als Anwalt der Armen überzeugt der Papst, als Reformer nicht
Die Kirche sei "aufgerufen, an die Ränder zu gehen"; eine Kirche, die das nicht tue, "kreist um sich selbst, dann wird sie krank“. Mit diesen Worten überzeugte der Argentinier Jorge Mario Bergoglio im Konklave die Kardinäle – und wurde zum Papst gewählt. An die gesellschaftlichen Ränder ging der Kirchenmann seither stets – sei es zu den Migranten auf Lampedusa, wohin ihn seine erste Reise führte, zu den Gewaltopfern im Kongo und Südsudan oder zu den Armen seines Heimatkontinents Südamerika – als Anwalt der Armen und Marginalisierten hat er sich so hervorgetan wie kaum ein anderer Pontifex in der Geschichte.
Sein Name, den sich der erste Jesuit auf dem Stuhl Petri gab, war und ist ihm Programm: Franziskus – der Patron der Ausgestoßenen, der den Reichtum verdammte. Das aktuelle Oberhaupt der Katholiken wohnt ergo nicht im Apostolischen Palast, sondern im Gästehaus des Vatikan, kein Kreuz aus Edelmetall ziert seine Brust, sondern ein schmuckloses aus Eisen. In der Rolle des einfachen Seelsorgers, der auf seine Schäfchen zugeht, überzeugt der Papst auf allen Linien, kann sich nach dem hoch intellektuellen, dafür kühlen Pontifikat seines Vorgängers Benedikt XVI. als der gute Hirte präsentieren. Mit seinem barmherzigen wie warmherzigen Lächeln punktet er bei vielen.
Allein: "Ein cooler Papst macht die Kirche nicht cooler", wie Benjamin Levens vom theologischen Fachverlag Herder einmal treffend formulierte. Denn als großer Reformer, der nach den erzkonservativen Jahrzehnten unter den Päpsten Johannes Paul II. (1978–2005) und Benedikt XVI. (danach bis zu seinem Rücktritt 2013) dringend notwendig gewesen wäre, tut sich Franziskus nicht hervor. Vielfach ist sein Stil so zu beschreiben: zwei Schritte vor, mindestens einer gleich wieder zurück. Beispiel Homosexuelle: 2015 trifft der Südamerikaner persönlich mit 50 Schwulen und Lesben zusammen. Eine Segnung gleichgeschlechtlicher Paare lehnt er aber weiter ab.
Beispiel Zölibat und Frauenweihe: Im Rahmen der Amazonassynode 2019 spricht sich die Mehrheit der Teilnehmer gegen die verpflichtende Ehelosigkeit für Priester aus (zumindest für diese riesige Weltregion, in der es an Pfarrern fehlt) und für das Frauen-Diakonat. Auch der aus Vorarlberg stammende emeritierte Bischof Erwin Kräutler, der seit Jahrzehnten im Amazonas lebt und wirkt, ist dafür. Unter anderem im KURIER-Interview weist er damals auf das Faktum hin, dass viele Katholiken in diesem Gebiet lange ohne Eucharistie auskommen müssten. Und auf die Konkurrenz evangelikaler Kirchen, deren Geistliche sehr wohl verheiratet sein dürften. Doch Franziskus, der zwar jetzt meint, die Ehelosigkeit für Priester sei revidierbar, kann oder will diesen Schritt (noch?) nicht setzen.
Wohlmeinende Beobachter analysieren, dass der Papst Türen öffnen wolle, ohne seine Herde hindurchzuschubsen. Denn zu radikale Reformen trügen das Risiko einer Spaltung in sich. Gewiss, es gibt am Heiligen Stuhl und weltweit mächtige Kirchenkreise, die Veränderung mit Verrat (an der reinen Lehre) gleichsetzen. Deswegen ging und geht auch bei der eingeleiteten Reform der Kurie (die Leitungs- und Verwaltungsorgane des Vatikan) nichts weiter. Und es gibt gerade in Afrika und Lateinamerika, wo die Mehrheit der Katholiken lebt, starke konservative Strömungen (wie auch in Osteuropa), auf die Rücksicht zu nehmen sei.
Dennoch sollte der vom aktuellen Oberhirten angestoßene weltweite synodale Prozess, in dem noch bis 2024 über die Zukunft der Kirche beraten wird, mutige Weichenstellungen vornehmen (auch wenn es derzeit nicht danach aussieht) – und dann von einem mutigen Papst umgesetzt werden. Ob der Franziskus heißt, ist aber eher fraglich.
Ein Papst, der viele Bälle in die Luft wirft
Mit seiner schlichten, unprätentiösen Art hat Papst Franziskus von seinem ersten Auftritt weg viele Menschen für sich eingenommen. Die gleich zu Beginn des Pontifikats gesetzten symbolischen Akzente (Kleidung, Wohnung, Auto etc.), die schnörkellose Sprache, seine wiederholten scharfen Äußerungen gegen jedweden Klerikalismus, gegen Abgehobenheit und Selbstgefälligkeit geweihter Amtsträger – all das wurde generell als neuer Stil breit rezipiert. Und hat gigantische Reformerwartungen/-hoffnungen geweckt.
All jene, welche die Zeit der beiden, in Wahrheit sehr unterschiedlichen Vorgängerpäpste Johannes Paul II. und Benedikt XVI. als kirchliche Eiszeit erlebt und sich daran habituell abgearbeitet hatten, witterten Morgenluft. Erste Irritationen über die eine oder andere Aussage (etwa über den Teufel oder das Schlagen von Kindern) versuchte man noch mit Hinweis auf das lateinamerikanische Temperament bzw. den anderen kulturellen Hintergrund des Pontifex zu relativieren. Doch im Lauf der Jahre wurde immer deutlicher, dass auch dieser Papst in den zentralen Punkten der innerkirchlichen "Reformagenda" nichts ändern würde.
Von daher ist es wenig überraschend, dass heute, zehn Jahre nach seiner Wahl, die glühendsten Anhänger Franziskus’ am meisten enttäuscht sind: Weder bei den Zulassungsbedingungen zum Priestertum, noch bei den unter dem Kampfbegriff "katholische Sexualmoral" firmierenden Themen weicht der 266. Bischof von Rom substanziell von Lehre und Tradition der Kirche ab.
Genau darum aber, um diese sogenannten "heißen Eisen", kreist seit Jahrzehnten die Debatte, die sich zuletzt im "Synodalen Weg" der deutschen Kirche nochmals mit ungeahnter Sprengkraft verdichtet hatte. Wozu es freilich seitens des Vatikans und auch des Papstes persönlich klare No-go-Signale gab.
Auf noch viel mehr Resonanz, weit über kirchliche Kreise hinaus, stößt seit jeher das "politische" Programm von Franziskus. Hier sind zunächst seine Positionen zu sozioökonomischen Fragen zu nennen, wo eine extrem globalisierungskritische und antimarktwirtschaftliche Haltung zu erkennen ist. Dagegenhalten ließe sich, dass „diese Wirtschaft“ eben nicht "tötet" (Franziskus in "Evangelii gaudium"), sondern das effektivste Mittel zur Verbreitung von Wohlstand, Frieden und sozialer Sicherheit ist, das es je gegeben hat.
Sehr exponiert hat sich Franziskus auch in Fragen der Migration. Freilich bleibt man ratlos zurück, wenn der Papst im Zusammenhang mit der Migrationsthematik etwa von der "Pflicht" spricht, "das Recht eines jeden Menschen zu respektieren, einen Ort zu finden, an dem er (…) sich auch als Person voll verwirklichen kann" ("Fratelli tutti"). Das macht, zu Ende gedacht, jedwede Migrationspolitik obsolet.
Man darf indes auch als Katholik dem Papst in diesen Fragen widersprechen. Was nicht zur Disposition stehen kann, ist das Maßnehmen an der Würde des Menschen. Wie diese bestmöglich zu sichern ist, ist Sache der Politik. Da gibt es nicht die guten (christlichen) und die falschen (unchristlichen) Antworten.
Dem könnte Franziskus vermutlich selbst sogar zustimmen. Vieles in diesem Pontifikat bleibt im Vagen, Ungefähren. Dieser Papst stößt dieses und jenes an, wirft Bälle in die Luft, um dann zu sehen, was daraus wird. Der von ihm initiierte "Synodale Prozess" (nicht mit dem deutschen "Weg" zu verwechseln) ist dafür das beste Beispiel: ein Experiment mit ungewissem Ausgang. Franziskus würde vielleicht sagen: Das ist das Risiko des Glaubens an sich.
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