Papst Franziskus wird 85 – und ist immer noch "fähig zu träumen"
"Fratelli e sorelle, buonasera" – "Brüder und Schwestern, guten Abend."
Mit diesen schlichten Worten begrüßte am 13. März 2013 der frisch gewählte Papst Franziskus von der Loggia des Petersdoms die Gläubigen. Kein Goldkreuz, kein Purpur-Umhang. Und diese zur Schau getragene Einfachheit – der Pontifex wohnt nach wie vor im Vatikanischen Gästehaus Sancta Martha statt im Apostolischen Palast – wurde zum Markenzeichen des Oberhauptes der katholischen Kirche, das heute, Freitag, seinen 85. Geburtstag begeht. Zeit für eine Zwischenbilanz seiner bisherigen Amtszeit.
"Er ist ein epochaler Papst", lässt Regina Polak im KURIER-Gespräch aufhorchen. Die assoziierte Professorin für Praktische Theologie und Religionsforschung an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien nennt drei Gründe.
Punkt eins: "Er hat eine wirklich globale Perspektive auf die Kirche, weil er selbst aus Lateinamerika stammt. Er weiß aus eigener Erfahrung, dass die Mehrzahl der Katholiken jung und arm ist und aus dem globalen Süden stammt. Darauf ständig hinzuweisen, ist auch für die europäische Kirche wichtig, die müde und schlapp geworden ist, sich in der Krise befindet, aber materiell natürlich immer noch sehr reich ist", argumentiert die Theologin.
Seine Stärken
Und in dieser Perspektive habe Franziskus die Marginalisierten im Fokus: die Armen, Ausgebeuteten, Ausgeschlossenen, die Einsamen und die Kranken. "Es geht ihm wirklich um die Armen", befand auch der emeritierte Pastoraltheologe Paul Michael Zulehner jüngst im KURIER-Interview. Als sichtbares Zeichen dafür führte den gebürtigen Argentinier mit dem bürgerlichen Namen Jorge Mario Bergoglio seine erste Reise auf die italienische Flüchtlingsinsel Lampedusa.
Die "Option für die Armen" traf der "Visionär" (Regina Polak) bereits in den Slums von Buenos Aires, damals allerdings ohne die für das Elend verantwortlichen Strukturen in Frage zu stellen. In dieser Hinsicht hat sich der Sohn eines Eisenbahnangestellten verändert: In seinem päpstlichen Schreiben "Evangelii gaudium" ("Die Freude des Evangeliums") formuliert er: "Diese Wirtschaft tötet." Theologin Polak sagt, dass es von höchster Stelle im Vatikan bisher noch keine so scharfe Kapitalismuskritik gegeben habe.
Ist Franziskus daher ein Linker, ein Liberaler? "Mitnichten", betont die Expertin, "er selbst ist konservativ." Er versuche bloß die Situation zu analysieren und ziehe dann seine Schlüsse.
Jorge Mario Bergoglio wird am 17. 12. 1936 in Buenos Aires geboren. Nach dem Abschluss als Chemietechniker entscheidet er sich, Priester zu werden.
1969 wird er zum Priester geweiht, 1973 legt er die Ewigen Gelübde bei den Jesuiten ab. 1998 wird Bergoglio Erzbischof von Buenos Aires, 2001 Kardinal.
Beim Konklave nach dem Tod von Johannes Paul II. erhält der Argentinier 2005 einige Dutzend Stimmen. Papst wird aber Joseph Ratzinger. Nach dem Rücktritt von Benedikt XVI. wird Bergoglio 2013 Oberhaupt der Katholiken. Er nennt sich Franziskus.
Punkt zwei: Der Papst stelle die "Barmherzigkeit, das totale Angenommensein von Gott ins Zentrum seiner Theologie", so Polak. Nur so sei "Umkehr" möglich, nur so könnten die "Strukturen der Sünde" überwunden werden, die etwa für Armut, die Klima- und Migrationskrise verantwortlich seien, Probleme, die nur von der gesamten Menschheit gelöst werden könnten.
Punkt drei: Der Pontifex Maximus erweise sich als echter "Dialog-Papst, der den Freiraum innerhalb der katholischen Kirche erweitert und ein Klima geschaffen hat, sodass Themen breit diskutiert werden können", so die Professorin. Das alles löse naturgemäß bei konservativen Kreisen im Kirchenstaat auch Widerstände aus, Kardinäle haben sich offen gegen den Nachfolger Petri gestellt. Polak dazu: "Ja, seine Art hat auch zu Verwerfungen geführt, sichtbar gemacht, wie tief die Gräben in manchen Aspekten sind. Ich bin mir nicht sicher, ob die Kirche das aushält."
Seine Schwächen
Auf der anderen Seite "bringt Franziskus dann einiges nicht in Rechtsform, entscheidet oft nicht. Das ist sein blinder Fleck", konstatiert Polak, die zwei Beispiele nennt. In Sachen Homosexuelle habe der Papst zuerst eine Tür geöffnet, später aber eine Segnung von schwulen oder lesbischen Paaren abgelehnt. Bei der Amazonas-Synode wurde intensiv über eine Aufhebung des Pflichtzölibats für Priester diskutiert und dies mehrheitlich auch gefordert, am Ende sagte der Südamerikaner aber "no".
Der italienische Vatikan-Insider Marco Politi sieht in den Überhol- und dann doch Bremsmanövern des obersten Hirten der Katholiken eine Strategie, um eine Spaltung der Herde zu verhindern. Regina Polak führt diesen scheinbaren Widerspruch auf die ignatianische Tradition des ersten Jesuiten auf dem Heiligen Stuhl zurück: "Sehen, analysieren, die Meinung des Anderen anhören – mit dem Ziel, dass sich vielleicht ja eine dritte Lösung findet." Er wolle eben alle mitnehmen, gleichsam im Gehen reformieren, mit der Option der Umkehr und Nachbesserung.
Das vatikanische Protokoll ist Franziskus nicht wichtig, er gibt lieber den schlichten Pfarrer als das purpurgewandete Staatsoberhaupt. Und hält es mit dem Motto, das er Jugendlichen im Petersdom vortrug: "Es ist die mühsamste und die faszinierendste Aufgabe, […] fest zu stehen, wenn alles zusammenzubrechen scheint, Wächter zu sein und Baumeister inmitten von Trümmern, fähig zu träumen."
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