Scholz stellt Vertrauensfrage: In einer Reihe mit Brandt, Schmidt, Kohl und Schröder
"Habeck will mit Milliardärssteuer Schulden sanieren", "Lindner wirbt bei Union für Schwarz-gelb – und will AfD-Wähler von FDP überzeugen", "Scholz kann sich kein Bündnis mit BSW vorstellen" – ein Auszug der Schlagzeilen am Wochenende. Die einst als "Fortschrittskoalition" angetretene Ampel-Regierung ist längst Geschichte: Der Wahlkampf läuft, das Datum für die Neuwahl des Bundestages steht (23. Februar), die Druckereien arbeiten an den rund 60 Millionen Stimmzetteln.
Dabei steht eine unbedingte Voraussetzung für Neuwahlen noch aus: Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) muss im Bundestag die Vertrauensfrage gestellt und verloren haben.
Am Montag ist es so weit. Die Sitzung beginnt um 13 Uhr; zuerst wird der Kanzler in einer Rede seine Beweggründe schildern, dann folgen Aussprache und namentliche Abstimmung. Gegen 16 Uhr wird das Ergebnis erwartet. Erhält er, wie erwartet wird, nicht die absolute Mehrheit von 367 Stimmen, hat er die Vertrauensfrage verloren. Dann wird er Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bitten, den Bundestag aufzulösen; der frühestmögliche Termin wäre der 25. Dezember. Dann wären alle juristischen Voraussetzungen für Neuwahlen in den darauffolgenden 60 Tagen und wie geplant am 23. Februar erfüllt.
Gewonnen und verloren
Scholz ist nicht der erste Kanzler, der die Vertrauensfrage stellt. Fünf Mal kam sie seit 1945 zum Einsatz, mit unterschiedlichen Motiven und unterschiedlichen Ausgängen.
Willy Brandt (SPD) war der Erste; er stellte sie 1972 mit dem Ziel, sie zu verlieren, und Neuwahlen vorzuziehen – Grund waren Spannungen in der Koalition aus FDP und SPD wegen der Ostpolitik des Kanzlers. Bei den Neuwahlen gewannen sowohl FDP und SPD dazu, die SPD erreichte ihr bis heute geltendes Rekordergebnis bei einer Bundestagswahl von 45,8 Prozent, und Brandt blieb Bundeskanzler.
Auf Brandt folgten Helmut Schmidt (SPD), der das Votum gewinnen wollte, was ihm auch gelang, bevor er ein halbes Jahr später per Misstrauensvotum gestürzt wurde. Ihm folgten Helmut Kohl (CDU), der das Votum wie von ihm gewünscht verlor, und Gerhard Schröder (SPD), der die Vertrauensfrage sogar zweimal stellte, einmal gewann und einmal verlor.
Bundestag bleibt handlungsfähig
Wie geht es nach Montag weiter? Scholz bleibt geschäftsführend im Amt. Der aktuelle Bundestag ist nach seiner Auflösung weiterhin handlungsfähig, und kann Gesetze beschließen, wenn es dafür die nötigen Mehrheiten gibt. Die Fraktionen von SPD und Grünen haben sich trotz des Koalitionsbruches auf eine Kooperationsvereinbarung geeinigt, bringen gemeinsam Anträge ein und stimmen ab. Bei einzelnen Vorhaben dürften sich sogar alle ehemaligen Ampel-Parteien noch einmal zusammengerauft haben: etwa wenn es um die Kindergelderhöhung und den Ausgleich der Kalten Progression bei der Steuer geht. Beides könnte laut FDP diese Woche im Bundestag beschlossen werden und dulde "keinen Aufschub", so Scholz.
Besser so als mit Stimmen der AfD, heißt es bei den Parteien; die Befürchtung ist groß, dass die Rechtspopulisten die anderen Parteien vorführen könnten, indem sie für gemeinsame Mehrheiten sorge. In den jüngsten Umfragen hat die AfD wieder leicht zugelegt, liegt zwischen 18 bis 20 Prozent hinter CDU/CSU (31 Prozent). Die SPD liegt je nach Umfrageinstitut zwischen 16 und 18 Prozent, die Grünen bei 11 bis 13 Prozent, FDP bei vier bis fünf, BSW bei fünf bis acht Prozent (Linke bei drei Prozent).
Nur für den Haushalt, an dem die Ampel-Regierung ja schlussendlich gescheitert war, dürfte sich sehr wahrscheinlich keine Mehrheit finden. So wird Deutschland zum 1. Jänner in die vorläufige Haushaltsführung rutschen. Das ist kein Shutdown wie in den USA, der Bund wird trotzdem Gehälter, Pensionen und Sozialleistungen bezahlen können. Doch neue Mittel gibt es für die einzelnen Ressorts keine. Das Budget für 2025 dürfte dann die erste Mammutaufgabe für die nächste Regierung der Bundesrepublik werden.
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