Brexit: May kann mit weiterem Aufschub rechnen

Nach Angaben von Diplomaten wollen EU-Staaten harten Brexit verhindern. Für Merkel Aufschub bis Anfang 2020 möglich.

Die EU will Großbritannien offenbar eine flexible Brexit-Fristverlängerung anbieten. In einem Entwurf für den EU-Sondergipfel am Mittwoch ist zugleich ein Sicherheitsmechanismus eingebaut, für den Fall, dass Großbritannien nicht an den Europawahlen teilnimmt. Dann droht London am 1. Juni der Hinauswurf aus der EU.

In dem Entwurf ist die Dauer der Verlängerung noch nicht definiert. Diese muss erst vom Gipfel beschlossen werden.

"Wenn das Vereinigte Königreich noch ein Mitglied der EU am 23.-26. May 2019 (dem Datum der Europawahlen, Anm.) ist, und wenn es nicht das Austrittsabkommen bis 22. Mai 2019 ratifiziert hat, muss es in Einklang mit EU-Recht Wahlen zum Europäischen Parlament abhalten", heißt es in dem Gipfelentwurf.

"Wenn das Vereinigte Königreich diese Verpflichtung nicht erfüllt, wird der Austritt am 1. Juni 2019 stattfinden." Weiters heißt es in dem Dokument, das noch mit einem Datum befüllt werden muss: "Eine solche Verlängerung soll nur so lange dauern wie notwendig, und auf jeden Fall nicht länger als (XX.XX.XXXX)."

"Sicherlich" kein harter Brexit

Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn sagte auf die Frage, ob es am Freitag noch einen "harten Brexit" geben könnte: "Sicherlich nicht." Die Europaminister vereinbarten noch kein Datum, bis zu dem ein weiterer Aufschub gewährt würde. Mit dieser Frage müsse sich der EU-Gipfel befassen, hieß es. In Ratskreisen hieß es, dass eine Verlängerung bis zum 30. Juni oder überhaupt länger diskutiert werde. May hatte um Fristerstreckung bis 30. Juni gebeten, in Diskussion ist aber auch eine längere Verlängerung, wenn May dem zustimme.

Aufschub um "Monate"

"Wir sprechen von Monaten", hieß es in diplomatische Kreisen. EU-Ratspräsident Donald Tusk hatte einen flexiblen Aufschub von zwölf Monaten vorgeschlagen, wobei Großbritannien die EU bei einem entsprechenden Beschluss schon früher verlassen könnte. Eine kurze Verlängerung wäre dann sinnvoll, wenn klar aufgezeigt werde, welche Entscheidungen in den nächsten Tagen getroffen werden, sagte der deutsche Europa-Staatsminister, Michael Roth.

Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel hält im Brexit-Drama eine Verschiebung des EU-Austritts bis Ende 2019 oder Anfang 2020 für möglich. Beim EU-Sondergipfel zum Brexit an diesem Mittwoch in Brüssel werde es um eine "Flextension"-Erweiterung des Austrittstermins gehen, sagte die Kanzlerin am Dienstag nach Angaben von Teilnehmern in einer Sitzung der Unionsfraktion im Bundestag. Zuvor hatte sie eineinhalb Stunden lang mit der britischen Premierministerin Theresa May im Kanzleramt über die Lage beraten. 

Keine Mehrheit für Austrittsvertrag

Den 12. April als neuen Brexit-Stichtag nach dem verstrichenen Austrittsdatum 29. März hatten die EU-Staats- und Regierungschefs zuletzt beim Gipfel für den Fall vereinbart, wenn der Austrittsvertrag bis dahin vom britischen Unterhaus nicht verabschiedet ist. Bisher verpasste der Austrittsvertrag dreimal in Westminister die nötige Mehrheit. Die aktuelle Beschlusslage sei, dass Großbritannien Ende dieser Woche aus der EU ausscheiden würde. "Das gilt derzeit", sagte EU-Minister Gernot Blümel (ÖVP).

Wenn sich daran etwas ändern sollte, müsste es eine "substanzielle Begründung" geben, die derzeit noch nicht vorliege. Blümel betonte aber ebenso, es sei die wichtigste Priorität aller, "einerseits die Einheit der EU-27 aufrecht zu halten, aber auch einen No Deal zu verhindern".

"Ein No Deal wird niemals die Entscheidung der EU sein", sagte EU-Chefverhandler Michel Barnier. Der Franzose bekräftigte, die EU wäre auch zu einer Zollunion mit Großbritannien bereit, wenn London dies wünsche. Doch müsste Großbritannien zuerst das Austrittsabkommen billigen. Die regierenden Konservativen verhandeln in London mit der Labour-Partei über eine Mehrheit für den Brexit. Labour tritt für eine Zollunion ein. Die Gespräche seien "ein neues Element", sagte Barnier.

Auch für Kurz Aufschub vorstellbar

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) hält eine Verlängerung der Brexit-Austrittsfrist unter gewissen Bedingungen für vorstellbar. Im Kanzleramt hieß es am Dienstag auf Anfrage der APA, dass dazu jedenfalls ein konkreter Plan der britischen Premierministerin Theresa May notwendig sei. Kurz habe Montagabend mit May gesprochen, wobei vor allem die Vermeidung eines Hard Brexit erörtert wurde.

Eine weitere Verlängerung macht die EU weiter von einer Teilnahme der Briten an den Europawahlen abhängig. May hat entsprechende Vorbereitungen in Aussicht gestellt. Die EU-Wahlen finden von 23. bis 26. Mai statt. Für die Brexiteers und für zahlreiche konservative Parteikollegen von May ist diese Perspektive nicht wünschenswert. "Das wäre der Abschiedsbrief vor einem Selbstmord der Konservativen Partei", sagte der britische Bildungsstaatssekretär Nadhim Zahawi am Wochenende.

Macron als größte Hürde

Als größte Hürde für May gilt Frankreich, dessen Präsident Emmanuel Macron die britische Premierministerin im Vorfeld des Gipfels noch in Paris besuchen will. Die französische Europaministerin Amelie de Montchalin sagte, Großbritannien müsse einen "glaubwürdigen Plan" vorlegen. Zweitens müsse London darlegen, welche Rolle es in der EU während der Fristverlängerung spielen werde, und welche EU-Entscheidungen es mitmachen werde, sagte De Montchalin.

Dahinter steht die Befürchtung, Großbritannien könnte als EU-Mitglied wichtige Beschlüsse zum EU-Mehrjahresbudget oder zur nächsten EU-Kommission blockieren. Mit einer EU-Blockade im Fall einer Verlängerung hatte der konservative Brexit-Hardliner Jacob Rees-Mogg gedroht.

Daher will die EU auch eine "loyale Kooperation" für alle künftigen britischen Regierungen zur Bedingung für eine Fristverlängerung machen. Neben der zwingenden Teilnahme an der EU-Wahl sei "ein loyales und konstruktives Verhalten der britischen Regierung, egal wer sie anführt, solange man Teil der Europäischen Union ist" notwendig, sagte Roth. Großbritannien dürfe das Funktionieren der EU nicht untergraben, müsse den Binnenmarkt aufrecht erhalten und auch an den Europawahlen teilnehmen, hieß in Ratskreisen weiter. Ein ungeregelter Brexit wäre aber die "schlechteste aller auf dem Tisch liegenden Optionen", so Roth.

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