"Brexit-Tragödie": Bekommen die Briten Schonfrist bis Februar?

Premierminister will am 31. Oktober aus der Europäischen Union führen - notfalls auch ohne Abkommen, obwohl ein neues Gesetz ihm das untersagt. Wie er dieses Gesetz umgehen will, ist unklar. Das britische Parlament ist im Brexit-Kurs total zerstritten. Auch die Gespräche zwischen und Brüssel stocken.
Das Parlament in London könnte schon am heutigen Montag über Johnsons Brexit-Abkommen mit der EU abstimmen.

Die EU will den Briten offenbar eine "flexible Verlängerung" bis Februar 2020 erlauben, wenn der britische Premierminister Boris Johnson sein neues Brexit-Abkommen mit der EU in dieser Woche nicht durchbringt. Dies berichten die britischen Zeitungen The Times und The Telegraph unter Berufung auf Diplomaten.

Wie könnte das gehen? Nachdem Johnson den britischen Gesetzen entsprechend am Samstag in Brüssel um eine Verschiebung ansuchen musste, könnte dies als "technische Verlängerung" bis zum 31. Jänner 2020 eingestuft werden. Das würde es Großbritannien erlauben, auch schon früher die EU zu verlassen, wenn der neue Brexit-Vertrag ratifiziert wird. Die EU will laut den Medienberichten aber zumindest bis zum morgigen Dienstag die von Johnson angestrebte Abstimmung im britischen Parlament abwarten.

Deutschland ist offen für eine Brexit-Verlängerung. "An einer kurzen Verlängerung der Brexit-Frist sollte es aus meiner Sicht nicht scheitern, wenn sie mit einem klaren politischen Fahrplan verbunden ist", sagte der deutsche Europa-Staatsminister Michael Roth (SPD).

Murren im EU-Parlament

Im EU-Parlament beraten am heutigen Montagabend die Fraktionschefs mit Parlamentspräsident David Sassoli über den weiteren Fahrplan - der Brexit-Vertrag muss auch vom EU-Parlament angenommen werden, damit er in Kraft treten kann.

Der EVP-Fraktionschef Manfred Weber von der bayerischen CSU sagte, er unterstütze eine Verschiebung des Brexits nur, wenn die Zeit in Großbritannien für eine Neuwahl oder eine zweites Referendum der britischen Bürger genutzt wird. Es könne "keine endlose Verlängerung dieser Brexit-Tragödie" mehr geben. Bei EU-Gipfeln müsse endlich über die Zukunft Europas statt über den britischen Austritt gesprochen werden, sagte Weber.

Johnson will notfalls nicht abstimmen lassen

Das britische Parlament stimmt möglicherweise schon am heutigen Montag über das neue Brexit-Abkommen ab. Die Entscheidung darüber will Parlamentspräsident John Bercow am späten Nachmittag im Unterhaus in London bekanntgeben. Ob Bercow dies jedoch zulässt, ist fraglich: Mehrere Abgeordnete argumentieren, eine Abstimmung über die gleiche Fragestellung wie am Samstag verstoße gegen die parlamentarischen Regeln. Auch mit Änderungsanträgen von Parlamentariern wird wieder gerechnet.

Johnson will seinen Brexit-Vertrag im Unterhaus allerdings nur dann zur Abstimmung stellen, wenn die Parlamentarier keine Änderungen daran vornehmen. Sollten die Abgeordneten versuchen, sie mit Zusätzen zu versehen, wäre eine Abstimmung sinnlos, sagte ein Sprecher JohnsonsDie Regierung würde dann den Abstimmungsantrag zurückziehen. Ein neuer Anlauf der Regierung ist nach Angaben des einflussreichen konservativen Abgeordneten Jacob Rees-Mogg für diesen Montag geplant. Bercow will seine Entscheidung am Nachmittag bekanntgeben.

Johnson steht unter sehr großem Zeitdruck: Er hat versprochen, Großbritannien am 31. Oktober - also in etwa eineinhalb Wochen - aus der Europäischen Union zu führen. Außenminister Dominic Raab und andere Kabinettsmitglieder sehen noch Chancen für den Deal. Es scheine ausreichend Unterstützung im Unterhaus vorhanden zu sein, sagte Raab.

Das Parlament hatte am Samstag eine Entscheidung über das Abkommen verschoben und Johnson damit eine Niederlage zugefügt. Ziel der Vertagung war es, einen No Deal auszuschließen. Die Abgeordneten stimmten für einen Antrag, der vorsieht, dass die Entscheidung vertagt werden soll, bis das Ratifizierungsgesetz verabschiedet ist.

Die Folge: Johnson war per Gesetz verpflichtet, in Brüssel eine Verlängerung der Brexit-Frist über den 31. Oktober hinaus zu beantragen - dies tat er widerwillig und ohne Unterschrift auf dem offiziellen Schreiben. Sein Verhalten könnte am Montag bei einer Anhörung vor einem Gericht in Schottland eine Rolle spielen. Kritiker werfen Johnson vor, den Willen des Parlaments zu torpedieren.

Ein Chaos-Brexit Ende Oktober mit all seinen wirtschaftlichen Turbulenzen wird unwahrscheinlicher. Der britische Staatsminister Michael Gove drohte zwar am Sonntag erneut damit und sagte, die Gefahr sei gestiegen. Doch stemmt sich eine Mehrheit im Unterhaus dagegen. Auch die Europäische Union hat kein Interesse daran, wie Diplomaten in Brüssel am Wochenende bekräftigten.

Johnson hat im Parlament, das im Brexit-Kurs total zerstritten ist, keine eigene Mehrheit und ist für die Ratifizierung des Brexit-Deals auf jede Stimme angewiesen. Die Labour-Partei signalisierte inzwischen ihre Bereitschaft, ein Abkommen zu unterstützen, wenn es in einem Referendum zur Abstimmung gestellt wird.

Johnson hatte vor wenigen Tagen nach langem Streit mit der EU einen geänderten Austrittsvertrag vereinbart, der sofort von den EU-Staats- und Regierungschefs gebilligt wurde. Neu geklärt wurde die Frage, wie die Grenze zwischen dem EU-Staat Irland und dem britischen Nordirland auch nach dem Brexit offen bleiben kann. Zudem vereinbarte Johnson mit Brüssel in einer politischen Erklärung, dass es auf längere Sicht nur eine lose Bindung seines Landes an die EU geben soll.

Eva Pöcksteiner (ORF) über den Brexit

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