Brexit-Chaos: "Risiko eines No Deals war noch nie so groß"

Brexit-Demonstranten vor dem Votum am Dienstag.
Mit Sorge reagierten europäische Politiker auf Mays Niederlage. Es kam aber auch in klares Nein zu Nachverhandlungen.

Die Sorge vor einem No Deal nach der Niederlage der britischen Premierministerin Theresa May im Parlament Dienstagabend steigt. Sogar der EU-Brexit-Chefverhandler Michel Barnier hat nach Ablehnung des Brexit-Vertrags im britischen Unterhaus vor einem ungeregelten Austritt Großbritanniens gewarnt: "Noch nie war das Risiko eines No Deals so groß", sagte Barnier am Mittwoch im EU-Parlament in Straßburg.

Europäische Politiker reagierten mit Bestürzung, Sorge, Enttäuschung und Pragmatismus auf die Abstimmungsniederlage für die britische Premierministerin Theresa May. Viele bereiten sich jetzt intensiver auf einen No Deal vor.

Brexit-Chaos: "Risiko eines No Deals war noch nie so groß"

EU-Brexit-Chefverhandler Michel Barnier

Nachverhandlungen - wie von Labour-Chef Jeremy Corbyn gefordert - werden aber einhellig abgelehnt.

Eine Verschiebung des Austritts hält lediglich Frankreichs Europaministerin, Nathalie Loiseau, für möglich. Allerdings zweifeln viele an der Sinnhaftigkeit einer Verschiebung: "Eine Verlängerung der Austrittsfrist ist nur möglich, wenn es Neuwahlen oder ein zweites Referendum gibt," sagt EVP-Europaabgeordnete Elmar Brok.

Barnier spricht von "britischer Sackgasse"

"Solange wir keinen Ausgang für die britische Sackgasse gefunden haben, sind wir nicht in der Lage weiterzumachen", sagte Barnier. Deshalb müssten jetzt die weiteren Etappen von der britischen Regierung dargelegt werden.

"Zum jetzigen Zeitpunkt kann kein einziges Szenario ausgeschlossen werden. Das ist auch wahr für den No Deal, den ungeregelten Austritt." Die EU sei weiter entschlossen, ein solches Szenario zu vermeiden. Barnier verteidigte das im britischen Unterhaus gescheiterte EU-Austrittsabkommen, das er federführend für die EU ausverhandelte. Das Abkommen sei "der beste mögliche Kompromiss". Die britische Regierung solle nun sagen, "wie man am 29. März geordnet austritt", forderte Barnier.

Die Highlights der Brexit-Diskussion im Unterhaus

Der EU-Chefverhandler bedauerte das Ergebnis der Abstimmung im britischen Parlament vom Dienstagabend. Er verteidigte aber den Passus des Abkommens, der wohl maßgeblich für das Scheitern des Deals im britischen Parlament verantwortlich war, den Backstop. Die Notfalllösung für Irland hinsichtlich der Grenze zum britischen Nordirland müsse glaubwürdig bleiben, betonte der Franzose. Die einzige Rechtsgrundlage dafür sei das Austrittsabkommen. Dessen Ratifizierung sei eine Vorbedingung für gegenseitiges Vertrauen.

Irland intensiviert Vorbereitungen auf No Deal

Einen No Deal wird die Republik Irland wohl am härtesten und zeitnahesten zu spüren bekommen. Die irische Regierung will sich jetzt noch intensiver auf die Folgen eines Brexits ohne Abkommen vorbereiten. "Bedauerlicherweise hat der Ausgang der Abstimmung heute Abend das Risiko eines ungeordneten Brexits erhöht. Folglich wird die Regierung ihre Vorbereitungen auf ein solches Ergebnis weiter intensivieren", hieß es in einer Erklärung. Dublin rief die Regierung in London dazu auf, Lösungsvorschläge zu erarbeiten.

Im Falle eines harten Brexits droht eben die Wiedereinführung von Grenzkontrollen zwischen dem EU-Mitglied Irland und der britischen Provinz Nordirland. Irland will eine "harte Grenze" verhindern, auch um das Karfreitagsabkommen von 1998 zu schützen. Das Abkommen hatte den jahrzehntelangen Konflikt zwischen irisch-katholischen Nationalisten und protestantischen Loyalisten beendet. Wesentlicher Bestandteil ist eine Grenze ohne Kontrollen zu Irland.

Nein zu Nachverhandlungen

Bei aller Sorge und Enttäuschung über das Votum, werden Nachverhandlungen von Seiten der EU weiter ausgeschlossen. Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) sagte dazu schon Dienstagabend: "Es wird jedenfalls keine Nachverhandlungen geben." "Eine Neuverhandlung ist keine Option", sagte auch die amtierende EU-Ratsvorsitzende und rumänische Europa-Staatssekretärin Melania Ciot am Mittwoch im EU-Parlament in Straßburg. Das Ergebnis mache "einen ordentlichen Austritt des Vereinigten Königreichs unwahrscheinlicher", sagte Ciot. Die EU werde die Ratifizierung des Brexit-Abkommens vorantreiben. Die Vorbereitungen für einen No Deal werde zugleich aber nun mehr Raum für die EU einnehmen.

Ebenso bekräftigte EU-Minister Gernot Blümel (ÖVP) das Nein zu Nachverhandlungen: "Ein Öffnen des Vertrages, ein Neuverhandeln, das wird es nicht geben können", sagte Blümel am Dienstag in der ZiB2. Die EU-27 hätten in den Brexit-Verhandlungen ihre Einheit gewahrt. "Das sollten wir jetzt nicht aufs Spiel setzen."

Politische Reaktionen auf Dienstagabend

Brexit-Chaos: "Risiko eines No Deals war noch nie so groß"

Sebastian Kurz (ÖVP), Bundeskanzler

"Es wird jedenfalls keine Nachverhandlungen geben."

Brexit-Chaos: "Risiko eines No Deals war noch nie so groß"

Jeremy Corbyn, britischer Oppositionsführer

"Eine Wiedereröffnung der Verhandlungen soll und darf nicht ausgeschlossen werden."

Brexit-Chaos: "Risiko eines No Deals war noch nie so groß"

Pamela Rendi-Wagner (SPÖ), Oppositionsführerin

"Die Situation zeigt, wohin populistische Politik führt."

Brexit-Chaos: "Risiko eines No Deals war noch nie so groß"

Jean-Claude Juncker, EU-Kommissionspräsident

"Ich bitte das Vereinigte Königreich dringend darum, seine Absichten so bald wie möglich klarzustellen. Die Zeit ist fast um."

Brexit-Chaos: "Risiko eines No Deals war noch nie so groß"

Karin Kneissl (FPÖ), Außenministerin

"Keep calm and carry on."

Brexit-Chaos: "Risiko eines No Deals war noch nie so groß"

Olaf Scholz, deutscher Vizekanzler und Finanzminister

"Das ist ein bitterer Tag für Europa. Wir sind vorbereitet. Aber ein ungeregelter Brexit ist die schlechteste aller Möglichkeiten."

Brexit-Chaos: "Risiko eines No Deals war noch nie so groß"

Udo Bullmann, SPD-Spitzenkandidat für die bevorstehende Europa-Wahl

"Das britische Parlament findet keinen Ausweg aus der Krise. Es ist daher an der Zeit, dass Großbritanniens Politiker wieder das Volk entscheiden lassen."

Juncker: "Die Zeit ist beinahe abgelaufen."

EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker bedauerte in einer ersten Reaktion den Ausgang des Votums. Das Vereinigte Königreich müsse nun seine Absichten so bald wie möglich klar machen: "Die Zeit ist beinahe abgelaufen."

EU-Ratspräsident Donald Tusk erklärte wiederum, dass die einzige gute Lösung für Großbritannien ein Verbleib in der EU sein könnte: "Wenn ein Abkommen unmöglich ist und keiner einen Austritt ohne Abkommen will, wer wird dann letztlich den Mut haben, zu sagen, was die einzige positive Lösung ist?"

"Wir können nicht zurückgehen und den Anfang verändern", sagte EU-Kommissionsvize Frans Timmermans (SPE). Aber man könne das Ende ändern. Auch er sagte, die EU müsse sich auf einen No Deal vorbereiten.

"Das britische Parlament hat gesagt, was es nicht will", schrieb der Brexit-Beauftragte des EU-Parlaments, Guy Verhofstadt von den Liberalen, am Dienstagabend im Kurzbotschaftendienst Twitter.  "Jetzt ist es an der Zeit herauszufinden, was die Abgeordneten im Vereinigten Königreich wollen", so Verhofstadt.

Der Chef der konservativen EVP-Fraktion, Manfred Weber (CSU), nannte das Abstimmungsergebnis "enttäuschend". Statt Klarheit gebe es nun "mehr Unsicherheit", schrieb er auf Twitter. Das Votum habe "die Möglichkeit eines sehr schädigenden Brexit erhöht".

Dänemarks Regierungschef Lökke Rasmussen schrieb auf Twitter. "Die Zeit läuft ab." Die britische Regierung müsse nun aufzeigen, wie es weitergehen könne. Die Vorbereitungen für den Fall eines No-Deal-Brexits gingen unvermindert weiter, erklärte er.

"Ich bedauere, aber respektiere das Ergebnis", schrieb der niederländische Premier Mark Rutte am Dienstagabend auf Twitter. "Die Niederlande und die EU stehen hinter der jetzigen Vereinbarung, aber wir bereiten uns weiterhin auf alle Szenarien vor." Der Rückschlag bedeute noch keine No-Deal-Situation. "Nun ist Großbritannien am Zug."

Kneissl: "Keep calm and carry on"

Österreichs Außenministerin Karin Kneissl (FPÖ) versuchte gar den Briten Mut zuzusprechen. Kneissl hofft nach dem Scheitern des Brexit-Deals im Londoner Unterhaus weiter auf einen geordneten EU-Austritt Großbritanniens. "Keep calm and carry on" ("Bleib ruhig und mach weiter"), zitierte Kneissl am Dienstagabend das berühmte Motto aus dem Zweiten Weltkrieg. "Österreich ist jedenfalls auf alle Szenarien vorbereitet", fügte sie allerdings noch hinzu.

Pfund steigt

Die Niederlage für May hat der Landeswährung Auftrieb gegeben. Das Pfund Sterling legte mehr als einen Cent auf 1,28 Dollar zu. Der Euro wurde für 89,51 Pence gehandelt. Auch wenn das Abstimmungsergebnis politische Turbulenzen und einen ungeregelten Brexit nach sich ziehen könnte, erwarteten einige Börsianer, dass die Abgeordneten angesichts des eindeutigen Ausgangs der Abstimmung gezwungen sein könnten, Alternativen zu suchen.

"Warum eigentlich, Herr Schellmann?"

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