Brennpunkt Lesbos: Unhaltbare Zustände "für Flüchtlinge und für uns"
Lautes Geschrei, Jubelrufe, Autos hupen. Am Hafen von Mytilini herrscht Chaos. Um die 400 Flüchtlinge und Migranten laufen an den Pollern entlang, die Polizei hat alle Hände voll zu tun, für Ordnung zu sorgen.
In einer Phalanx treiben die Beamten die aufgebrachte Menge zurück – in eine Seitenstraße. Es sind hauptsächlich junge Männer, die sich der Polizei zwar fügen, aber durch lautes Gejohle klar machen, dass die Beamten mit ihnen noch ein paar Mal zu tun haben werden.
Der Grund für die Aufregung: Vor wenigen Stunden hat ein Marineschiff im Hafen angelegt. Unter den Migranten und Flüchtlingen gehen Gerüchte um, dass es sie ans Festland bringt. Weg von Moria. Dass sie von dort aus in ihre Herkunftsländer abgeschoben werden sollen, dürfte ihnen nicht bekannt sein.
Lesbos
Ausnahmezustand
Seit Wochen ist Lesbos im Ausnahmezustand, die Bevölkerung begehrt auf. Berichte von Angriffen angeblicher Faschisten auf Journalisten, Helfer und Migranten haben das Klima zusätzlich angeheizt.
„Faschisten? Nein, das sind keine Faschisten, das sind Vollidioten,“ sagt ein griechischer Ladenbesitzer auf Lesbos zum KURIER.
Er hat sein Geschäft am Hafen von Mytilini, der in den vergangenen Tagen Schauplatz von Demonstrationen gegen Flüchtlinge und Migranten war. Alte Männer sitzen in Kaffeehäusern, Familien kaufen ein.
Vorfälle wie den obigen sind sie gewöhnt, sie gehören zum Alltag.
Außer Kontrolle ist die Situation am Mittwoch definitiv nicht. Doch gut ist sie für die Wenigsten auf der ehemaligen Touristeninsel.
„Es ist unhaltbar. Für sie und für uns“, sagt der Ladenbesitzer. „Wir hatten die Wirtschaftskrise, seit fünf Jahren haben wir die Flüchtlingskrise. Die Flüchtlinge wollen hier nicht bleiben, dürfen aber nicht weg. Natürlich führt das auch in der Bevölkerung zu Unmut.“
Flüchtlingslager auf der Insel Lesbos
Verstehe die Wut
Einer der Syrer am Pier sucht täglich nach Möglichkeiten, die Insel zu verlassen: „Es ist hier nicht mehr sicher. Ich verstehe die Wut der Bevölkerung, kann den Unmut absolut nachvollziehen. Das Lager Moria ist ein absolutes Drecksloch – das würde ich auch nicht bei mir zu Hause haben wollen“, sagt er. „Aber zurück nach Syrien kann ich eben auch nicht.“
Das Flüchtlingslager Moria: Plastikplanen über ein paar aneinander genagelten Paletten. „Willkommen in meinem Haus“, sagt ein Afghane. Dicht an dicht stehen die armseligen Behausungen der Flüchtlinge und Migranten, die rund um das Lager entstanden sind. Ursprünglich für 2.500 Menschen konzipiert, leben dort mittlerweile mehr als 20.000 Menschen.
Kinder laufen durch die Zeltgassen, spielen Fangen, werfen Murmeln. Manche leben seit sieben Jahren hier, andere sind gerade erst angekommen. „Afghan!“, trommelt sich ein kleiner Bub auf die Brust. „Iraki!“, ruft ein anderer. Dann spielen sie weiter im Schmutz des Lagers.
Ein Windstoß weht durch die Zeltstadt, weht den unangenehmen Geruch von ungewaschenen Körpern und Abfall kurz weg. Vor einem provisorischen Zelt – als Dämmung verwenden sie Kartons – sitzt eine kleine Familie, kocht Wasser auf. Zutaten: Löwenzahn und ein paar Bohnen.
Flüchtlinge in der Stadt Mytilene in Griechenland: Nach Europa fährt hier niemand
Sie warten umsonst am Hafen
Flüchtlinge in der Stadt Mytilene in Griechenland
Schlimme Zustände im Lager in Moria
Müll in Moria, Flüchtlingslager in Lesbos
Schlimme Zustände im Lager in Moria
Moria, Flüchtlingslager in Lesbos
Schlimme Zustände im Lager in Moria
Schlimme Zustände im Lager in Moria
Moria Flüchtlingslager in Lesbos
Schlimme Zustände im Lager in Moria
Moria, Flüchtlingslager in Lesbos
Moria, Flüchtlingslager in Lesbos
Flüchtlinge in der Stadt Mytilene in Griechenland
Flüchtlingslager Moria
Schlimme Zustände im Lager in Moria
Moria Flüchtlingslager in Lesbos
Moria Flüchtlingslager in Lesbos
Moria Flüchtlingslager in Lesbos
Moria Flüchtlingslager in Lesbos
Das überfüllte Krankenhaus
„Im Grunde das Beste, bei meiner Diabetes“, scherzt eine Irakerin. Medizinische Hilfe erhält sie keine – ihr fehlen die Dokumente dafür. Vor dem Krankenhaus wurde sie von der Polizei weggeschickt, sagt sie. Das Krankenhaus ist heillos überfüllt, wurde nicht für eine so große Menge an Menschen konzipiert. Ebenso bekommen viele Kinder keine medizinische Behandlung. Essensvorräte gibt es – zumindest außerhalb des Lagers – nur wenige.
Die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen (MSF) hat ihre Tätigkeit vorläufig eingestellt: „Es ist zu Übergriffen auf unsere Mitarbeiter gekommen, Einheimische errichten Straßensperren. Wir können unsere Sicherheit nicht mehr gewährleisten“, sagt eine MSF-Mitarbeiterin.
Zerstörte Mietwagen
Zwar sind die Ärzte noch auf Lesbos, wissen aber nicht, wann sie ihre Aufgaben wieder wahrnehmen können. Derzeit sieht es danach aus, dass die Organisation ihre Arbeit in den kommenden Tagen wieder aufnimmt. Gegner wird das Team dennoch weiterhin haben: Ein Mietwagenverleiher erzählt, 50 seiner Autos seien in den vergangenen Wochen zerstört worden. „Sie wollen dadurch Hilfsorganisationen einschüchtern. Ich kann Ihnen einen Wagen geben. Allerdings ohne Versicherung.“
„Sie glauben, sie tun der Bevölkerung einen Gefallen, indem sie Autoscheiben einschlagen, dabei ruinieren sie uns“, sagt der Ladenbesitzer in Mytilini. Der Tourismus – die Haupteinnahmequelle der Insel – sei nahezu zum Erliegen gekommen. „Stattdessen wird die Situation immer schlechter. Für die Flüchtlinge und für uns.“
Kommentare