Mein neuer Instagram-Freund schaltet das WLAN wieder ab und fragt uns weiter über Österreich aus. Wir sitzen an einem Tisch, auf dem all unsere Wertsachen gelagert sind. Akribisch waren wir zuvor durchsucht worden, die Soldaten notierten alles: Reisepass, Akkus, Mobiltelefone.
Sie hätten wahrscheinlich noch viel mehr notiert, aber als sie meine Tasche durchsuchten, fanden sie unter anderem Zettel von der Post, oder Zahnarztrechnungen. Bei einem solchen Durcheinander vergeht sogar dem pflichtbewusstesten Soldaten das Katalogisieren.
Geleit auf Toilette
Zu diesem Zeitpunkt waren die Männer noch vorsichtiger im Umgang mit uns, stets folgte uns ein Soldat mit halbgeladener Waffe, geleitete uns sogar auf die Toilette. Auf militärischen Liegenschaften eine normale Prozedur.
All diesen Aufwand hätten sie sich – und uns – ersparen können, wäre am Kontrollposten, wo wir aufgegriffen wurden, ein Soldat gestanden, der unsere Frage verstanden hätte. Andererseits haben sie ihre Pflicht erfüllt.
Wir waren am Weg nach Ipsala, wo angeblich – mittlerweile ist es eine Falschmeldung – ein Syrer erschossen wurde. Als wir an einer Brücke vorbeikamen, an der einige Polizisten standen, fragten wir, ob wir die Brücke passieren dürften. Ein Polizist bejahte. Wenige hundert Meter nach der Brücke standen drei Soldaten an einer Kreuzung. Wir fuhren auf sie zu, wollten sie fragen, ob wir weiterfahren dürften. „Get out!“, „Wait!“, „No phone!“, war die Antwort. Auf all unsere Fragen reagierten sie nicht, sie nahmen unsere Reisepässe ab, ihr Kommandant telefonierte.
Nach einigen Minuten kam ein Lkw mit einem Oberleutnant, der uns anwies, ihm zu seinem Stützpunkt zu folgen. Dort angelangt erfuhren wir, dass wir in militärisches Sperrgebiet eingedrungen seien und nun den Behörden übergeben würden.
Das „nun“ sollte sich in die Länge ziehen, denn im Umkreis von zehn Kilometern versuchten Hunderte Flüchtlinge und Migranten, über die Grenze nach Griechenland durchzubrechen. Die Polizei hatte alle Hände voll zu tun, Stunde um Stunde verging.
Türkenbelagerung? Prinz Eugen?
Je länger wir unter einem Laubendach auf unseren Holzstühlen saßen, desto freundlicher würden die Soldaten. Junge Männer, die langsam aber sicher ihr autoritäres Gehabe ablegten und sich für ihre Gäste zu interessieren begannen. Einer, der uns anfangs gar das Sprechen verbieten wollte, brachte wenig später Tee, ein anderer versorgte uns mit Zigaretten.
„Gendarmarie on the way“, sagt jetzt mein Instagram-Freund lächelnd. Doch mittlerweile wissen wir, dass das noch dauern wird. Fünf Stunden sitzen wir bereits unter der Laube. Vor uns hinkt ein dreibeiniger Hund den staubigen Weg entlang, der Wind sorgt dafür, dass uns nicht zu warm wird.
Die letzten Stunden konnten wir uns dank den technischen Errungenschaften des Google-Übersetzers mit unseren Gastgebern vortrefflich über die militärischen Errungenschaften des Osmanischen Reiches und der Habsburger streiten. Interessanterweise spielen die beiden Türkenbelagerungen von
Wien keine große Rolle im türkischen Geschichtsunterricht. Auch von Prinz Eugen wollten die Soldaten nie gehört haben.
WLAN einschalten
Schichtwechsel der Patrouille. Ein Lkw fährt vor. Der Kommandant sitzt auf, unsere Bewacher wechseln sich ab. Es sind blutjunge Soldaten, die freundlich lächeln, aber nicht sehr aufmerksam sind. Ich nehme wie selbstverständlich mein Mobiltelefon aus dem Kuvert, in das es der Kommandant gelegt hat. Keine Einwände. Jürg tut es mir nach, zeigt den Burschen ein paar Fotos auf seinem Handy, während ich das WLAN-Gerät im Kuvert wieder einschalte und den
KURIER ausführlicher informiere.
Noch weitere drei Stunden vergehen. Mittlerweile ist es dunkel, wir sitzen im Aufenthaltsraum, schauen Nachrichten. Der Fernseher zeigt leergekaufte Regale und Menschen mit Schutzmasken. Die türkischen Soldaten fragen uns scherzhaft, ob wir Coronavirus haben. Manche Dinge sind weltweit gleich.
Endlich kommen zwei Gendarmen, die uns auf die Polizeiwache in Edirne mitnehmen. „No Problem“, bedeutet uns der Beamte. Es müssten nur ein paar Formalitäten im Revier abgeklärt werden und dann könnten wir gehen. Wir beschließen, das zu glauben.
Im Revier werden wir mit Jubel empfangen – von zwanzig anderen Journalisten, denen dasselbe widerfahren ist. Ein Team aus Dänemark, ein britischer Journalist, einige Reporter aus der Türkei – lachend berichten wir einander von unseren Erlebnissen und stellen uns auf einen langen Abend ein.
Dank einiger ehrenamtlicher Anwälte ist das Prozedere nach einer guten Stunde vorbei – wir kommen frei. Nach neun Stunden ungefährlicher, aber sinnloser Zeit in den Händen der türkischen Behörden.
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