Bidens Demokraten nach Sieg in Georgia in Feierlaune
Die Episode von seiner Festnahme im Kapitol von Washington gehörte im Wahlkampf zu den „kleinen Juwelen“ Raphael Warnocks, der mit seiner Wahl zum Senator in Georgia jetzt in Amerika Geschichte geschrieben hat.
Der mit elf Geschwistern in prekären sozialen Verhältnissen groß gewordene Pfarrer der Ebenezer Baptist Church in Atlanta, Wirkungsstätte der Bürgerrechtsikone Martin Luther King, hatte 2017 privat in Washington gegen republikanische Bestrebungen demonstriert, die Gesundheitsreform von Barack Obama zu schreddern. Dann klickten die Handschellen: Warnock wurde wegen passiven Widerstands im Kongress abgeführt.
„Wenn ich am 5. Jänner gewinne, hoffe ich darauf, dass die Polizisten im Kapitol mich erneut eskortieren“, sagte der für sein ansteckendes Lächeln bekannte Geistliche im Dezember bei einer Kundgebung in Atlanta, „aber dann in mein Büro im Senat der Vereinigten Staaten.“
Genau so wird es kommen. Als erster Afroamerikaner wird der „Reverend“ den Süd-Bundesstaat Georgia, wo seit 20 Jahren kein Demokrat mehr einen Blumentopf im Senat gewann, im Oberhaus des US-Kongresses vertreten. Führende Demoskopie-Institute und US-Medien haben den Prediger aus Savannah als Sieger der Stichwahl vom Dienstag ausgerufen. Mit rund 54.000 Stimmen Vorsprung bezwang Warnock die republikanische Amtsinhaberin und Trump-Loyalistin Kelly Loeffler. Seine wichtigste Wähler-Bastion nach ersten Umfragen: Schwarze, Hispanics und Wähler mit gutem Bildungshintergrund.
Geht auch der zweite in Georgia zur Wahl stehende Senatsposten an die Demokraten, würde im Senat in Washington eine 50:50-Stimmen-Konstellation entstehen. Mittwochnachmittag war der Vorsprung des jungen Dokumentarfilmers Jon Ossoff (33) vor dem republikanischen Amtsinhaber David Perdue (71) noch nicht eindeutig genug. Doch Ossoff rief sich schon in einem TV-Interview zum Sieger aus.
Feierlaune
„Es fühlt sich wie ein komplett neuer Tag an“, schwärmte Chuck Schumer, ein gemäßigter Biden-Vertrauter und – sollte sich Ossoffs Sieg bestätigen – neuer Mehrheitsführer im Senat.
Der künftige US-Präsident Joe Biden äußerte sich optimistisch, dass die Demokraten infolge der Stichwahlen in Georgia die Kontrolle im US-Senat übernehmen werden. „Es sieht so aus, als würden wir aus der gestrigen Wahl mit einer Führung im Repräsentantenhaus und im Senat hervorgehen“, erklärte Biden am Mittwoch. „Das amerikanische Volk fordert Taten und es will Einheit. Ich bin zuversichtlicher denn je, dass wir beides liefern können.“
Biden streckte den Republikanern erneut die Hand entgegen: Er sei entschlossen zu versuchen, mit Politikern beider Parteien zusammenzuarbeiten, „um große Dinge für unsere Nation zu erreichen“. Die Wähler in Georgia hätten klargemacht, dass sie Maßnahmen mit Blick auf Krisen wie die Corona-Pandemie und den Klimawandel wollten.
Durchmarsch
Gehen beide Senatorensitze in Georgia an die Demokraten, dann kann die künftige Vizepräsidentin Kamala Harris qua Verfassung das Patt im Senat brechen. Ihre Stimme entscheidet dann. Und Biden könnte bis zu den Halbzeit-Wahlen 2022 mit breiter Brust regieren. Weißes Haus, Repräsentantenhaus und Senat wären in demokratischer Hand. Sein Kabinett, Investitionen in Klimaschutz und Infrastruktur, Steuer-Erhöhungen für Reiche oder die aktuell diskutierte Aufstockung der Corona-Hilfen für Millionen Amerikaner von 600 auf 2.000 Dollar pro Person – all das könnte von den bislang tonangebenden Republikanern um Mitch McConnell nicht verhindert werden.
Störmanöver
Bidens offizielle Beglaubigung im Kongress war am Mittwoch Gegenstand von aussichtslosen republikanischen Last-Minute-Störmanövern. Zehntausende Trump-Anhänger kamen flankierend zu Demonstrationen im Regierungsbezirk zusammen. Ein Großaufgebot an Sicherheitskräften war im Einsatz. Der Chef der rechtsradikalen „Proud Boys“ war zuvor der Stadt verwiesen worden. Der scheidende Präsident wiederholte einmal mehr in einer Rede hinter dem Weißen Haus den gerichtlich widerlegten Vorwurf, dass die Demokraten ihm den Sieg bei den Wahlen am 3. November „gestohlen“ hätten – auch in Georgia.
Dort wurde so rasch nicht mit rechtskräftigen Resultaten im mit über 800 Millionen Dollar teuersten Vier-Personen-Wahlkampf in der US-Parlamentsgeschichte gerechnet.
Georgias Wahlleiter Brad Raffensberger, den Trump vergeblich zur illegalen Korrektur des knappen Biden-Sieges (12.000 Stimmen) am 3. November angehalten hatte, wies darauf hin, dass bis Freitag noch rund 17.000 Briefwahlumschläge von Soldaten und im Ausland lebenden Bürger erwartet werden.
Im Lager von Loeffler und Perdue war zu hören, dass nachträgliche Auszählungen oder Anfechtungen das Endergebnis um Tage verzögern werden. „Wir werden alle rechtlichen Möglichkeiten ausschöpfen“, so ein Sprecher Perdues. Welche Partei im Senat das Sagen hat, bliebe dann noch für unbestimmte Zeit in der Schwebe.
Obwohl die Doppel-Niederlage der Konservativen noch nicht amtlich ist, wetzen Republikaner bereits die Messer. Adressat ist vor allem Donald Trump. Bestätigt sich auch Ossoffs Erfolg, hätten die Konservativen in seiner Amtszeit alle drei Institutionen – Präsidentschaft, Repräsentantenhaus und Senat – verloren. Dass Trump nachweisbar Wähler in den Vorstädten vergrätzt hat und die republikanischen Top-Wahlverantwortlichen in Georgia bezichtigt, ihm den Wahlsieg am 3. November „gestohlen“ zu haben, habe viele Wähler „abgeschreckt“, an der Stichwahl teilzunehmen, schreiben Analysten im Atlanta Constitution Journal.
Verdrehte Augen
Noch früh in der Wahlnacht setzte Trump via Twitter den haltlosen Verdacht in die Welt, die Demokraten würden ihre Stimmen-Ergebnisse abermals selbst fabrizieren. Gabriel Sterling, Republikaner und einer der obersten Wahlmanager Georgias, verdrehte vor laufender Kamera die Augen: Der abgewählte Präsident habe es sich zur Aufgabe gemacht, in der republikanischen Partei einen „Bürgerkrieg“ zu entfachen, sagte Sterling. Wie der „Bürgerkrieg“ ausgeht und mit welchen Opferzahlen, werden die nächsten Wochen zeigen.
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