Bianca Jagger über Nicaraguas Präsidenten: „Ortega ist ein Diktator und Mörder“
Wofür ihr Herz schlägt, ist in diesem Zoom-Gespräch mit dem KURIER schnell erkennbar: Nicaragua – die Flagge des mittelamerikanischen Landes wählte Bianca Jagger als Hintergrund. Ihre alte Heimat, wo die Menschrechtsverteidigerin geboren wurde, sieht sie derzeit am Abgrund. Mit Machthaber Daniel Ortega, der sich im November erneut zum Präsidenten wählen lassen will, geht sie scharf ins Gericht. In Wien war die 71-Jährige auf Einladung der Menschenrechtssprecherin der ÖVP im Parlament, Gudrun Kugler.
KURIER: Vor dem Urnengang kam es zuletzt zu einer massiven Verhaftungswelle...
Bianca Jagger: ...ich spreche lieber von Kidnapping. Ortega ließ gleich sechs Präsidentschaftskandidaten festnehmen und ins Gefängnis stecken. Sie sind gleichsam seine Geiseln, nicht einmal Anwälte dürfen zu ihnen. Aber auch Studenten, Journalisten und arme Bauern werden verhaftet. Es gibt Vorwürfe der Folter und des sexuellen Missbrauchs.
Das heißt, es wird bei der Wahl keine Gegenkandidaten geben?
So schaut es aus. Und die Zeit tickt: Am 2. August endet die Bewerbungsfrist.
Würden Sie Ortega als Diktator bezeichnen?
Ja, absolut. Er ist ein Diktator, ein Tyrann, ein Mörder.
Dabei hatte er als Sandinisten-Führer die Somoza-Diktatur (1937-1979) beendet. Welche Herrschaft würden Sie als schlimmer werten: Die unter den Somozas oder die unter Ortega?
Jetzt ist es schlimmer. Ortega ist brutaler und erratischer. Ein Beispiel: Als junge Frau konnte ich politische Gefangene in Nicaragua im Gefängnis besuchen, das ist jetzt undenkbar. Oder: Als es 2018 zu einem friedlichen Aufstand gegen Ortega kam, ließ er diesen brutal niederschlagen. Ich konnte mich selbst davon überzeugen. Zum Muttertag war ich damals mit anderen auf einer großen Demonstration, als Scharfschützen auf uns schossen. Wir mussten um unser Leben laufen. 19 Menschen starben an diesem Tag. Insgesamt waren es in diesen Wochen mehr als 350 Menschen, die ermordet wurden.
Wie kam es, dass sich Daniel Ortega vom Freiheitskämpfer zu einem derart autoritären Führen entwickelte?
Ich habe ihn mehrmals getroffen. Er ist nicht der charismatische Führer und Denker, als der er sich gerne darstellt. Er ist ein mittelmäßiger Typ, der mit seinem Bruder (Humberto) die Revolution vereinnahmt hat. Von Anfang an hat er die Ideale der Revolution verraten und uns betrogen. Das geht jetzt sogar so weit, dass er eine der Ikonen der Revolution, Dora Maria Tellez Argüello, bekannt als Comandante Dos, ebenfalls ins Gefängnis werfen ließ.
Welche Rolle spielt Ehefrau Rosario Murillo?
Eine große, Ortega hat sie ja als Vize-Präsidentin installiert. Das war gleichsam das Gegengeschäft dafür, dass sie zu ihm hielt und sich gegen die eigene Tochter (aus einer früheren Beziehung) stellte. Diese hatte Ortega sexuellen Missbrauch vorgeworfen. Jedenfalls könnte Rosario Murillo jederzeit übernehmen, weil er gesundheitlich schon ziemlich angeschlagen ist. Sie ist jetzt schon sehr präsent, etwa mit einer eigenen Sendung im Radio.
Warum klammern sich die beiden mit allen Mitteln an die Macht?
Sie haben Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen. Und sie wissen, dass sie einer Strafverfolgung nur dadurch entgehen, dass sie immun sind. Und das sind sie, solange sie diese Ämter haben. Sie wollen offenbar eine neue Dynastie im Land begründen. Doch damit darf man sie nicht durchkommen lassen.
Was sollte die internationale Staatengemeinschaft unternehmen?
Das Regime gehört dringend sanktioniert. Die Auslandskonten von Schlüsselfiguren müssten gesperrt werden, deren Reisemöglichkeiten unterbunden. Und die amerikanischen Staaten müssten Druck auf Nicaragua ausüben, indem sie das Land isolieren. Denn es stellt mittlerweile eine regionale Bedrohung dar.
Abschlussfrage an die gebürtige Nicaraguanerin: Wie empfinden Sie die aktuelle Situation in ihrer alten Heimat ganz persönlich?
Sie erfüllt mich mit einer tiefen, tiefen Traurigkeit. Es gab die Revolution, aber wir haben es nicht geschafft, eine echte Demokratie zu schaffen. Doch dafür kämpfe ich weiter und appelliere an die Welt: Vergesst uns nicht!
Herkunft
Geboren als Bianca Perez-Mora Macias (2. Mai 1950) in Nicaraguas Hauptstadt Managua, ging sie mit 16 Jahren mit einem Stipendium nach Paris und studierte dort Politikwissenschaften.
Ehe
Mit 20 Jahren lernte die junge Frau Stones-Legende Mick Jagger kennen und wurde schwanger. Ein Jahr später erfolgte die Hochzeit, 1978 die Scheidung.
Menschenrechtlerin
Seit 40 Jahren engagiert sich Frau Jagger für Menschenrechte und gründete die „Bianca-Jagger-Stiftung für Menschenrechte“, deren Präsidentin sie ist.
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