Nicaragua: „Meine einzige Waffe ist die Musik“
Sorgenfalten graben sich ins Gesicht von Katia Cardenal, 55, wenn sie an ihre Heimat denkt. An die couragierten Menschen, die in Nicaragua gegen die autoritäre Herrschaft von Präsident Daniel Ortega, 72, auf die Straße gehen – und oftmals mit dem Leben bezahlen. Abfinden mit der Situation mag sie sich nicht. In ihren Songs singt sie gegen jedwede Form von Gewaltherrschaft an. „Meine einzige Waffe ist die Musik“, sagt Cardenal bei einem Wien-Besuch zum KURIER, „eine andere habe ich nicht.“
Das Regime freilich schon, und es setzt sie exzessiv ein, vor allem in Form von Scharfschützen. „Bei den Protesten sind bereits mehr als 400 Menschen getötet worden, die Hälfte davon durch Sniper“, betont die Künstlerin. Sie wirbt derzeit auf einer großen Europa-Tournee für Solidarität mit den demokratischen Kräften in ihrer Heimat, die von den Machthabern als „Terroristen“ denunziert würden.
Folter
Es gebe weit mehr als 500 politische Gefangene, die auch gefoltert würden. Das habe es zwar unter der Somoza-Diktatur (bis 1979) auch gegeben, allerdings „ließ der mit wenigen Ausnahmen nicht auf Zivilisten schießen, sondern ging gegen die aufständischen Kämpfer der Sandinisten vor“, hält die Sängerin fest. Insofern sei die jetzige Situation unter Ortega fast noch unerträglicher.
Jenem Mann, der in linken Zirkeln weltweit nach der gelungenen Revolution als Held gefeiert wurde. „Wir alle haben damals an wirkliche Veränderungen geglaubt. Auch ich habe mich damals engagiert – in der Alphabetisierungskampagne. Da ich aus der gehobenen Mittelschicht stamme, habe ich da erst die Armut im Land gesehen. Zu dem Zeitpunkt habe ich auch begonnen, zu singen – über Gerechtigkeit, Humanismus und ein Leben in Würde.“
Aber schon Mitte der 80er-Jahre habe „die Macht die Herzen der Regierenden verändert“, sie hätten alles an sich gerafft und das Volk erneut bestohlen. Jetzt, da Ortega nach 1979 bis 1990 seit 2006 wieder an der Staatsspitze steht, sei alles noch schlimmer.
An einen offenen Bürgerkrieg glaubt Cardenal aber nicht: „In den 80er-Jahren (US-unterstützte Kontras versuchten die Sandinisten von der Macht zu verdängen) gab es 50.000 Tote. Fast jede Familie hatte Opfer zu beklagen. Zumindest meine Generation weiß, dass Waffengänge furchtbar sind.“
Die Künstlerin hofft auf eine friedliche Veränderung, zumal die Anti-Regime-Bewegung breit aufgestellt sei: Studenten, Intellektuelle, aber auch Arbeiter und Bauer, die weiter in Armut leben müssten.
Sobald es irgendwie gehe, will die Mittfünfzigerin zumindest kurzzeitig nach Nicaragua zurückkehren. „Meine Familie warnt mich zwar, weil man in dem Land als Terrorist beschimpft wird, nur weil man über Liebe singt“, sagt Katia Cardenal, „aber es ist meine Heimat. Ich muss.“
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