Beweise: EU setzte fast 1.000 Flüchtlinge illegal im Meer aus

Migrant rescue patrol in the Aegean Sea by the Turkish Coast Guard
Recherche vier europäischer Medien zeigt auf, dass die EU-Behörde Frontex eine detaillierte Datenbank über sogenannte Pushbacks führt, diese aber schönt.

Die europäische Grenzschutzbehörde Frontex hat nachweislich alleine zwischen März 2020 und September 2021 insgesamt 957 Flüchtlinge in Booten vor der griechischen Küste aufgegriffen und illegalerweise in türkischen Gewässern wieder ausgesetzt. Das geht aus einer gemeinsamen Recherche des Spiegel, der schweizer Medien SRF und Republik sowie der französischen Tageszeitung Le Monde hervor.

Frontex führt demnach eine detaillierte Datenbank über die eigenen Einsätze. Alleine 22 Fälle sogenannter illegaler Pushbacks können demnach Einträgen in dieser Datenbank zugeordnet werden. Doch die EU-Grenzschützer schönen ihre Aufzeichnungen massiv: So wurde jeder dieser Aufgriffe so eingetragen, als hätte man die Flüchtlinge direkt in türkischen Gewässern entdeckt - jeder der Einsätze wurde also als "Verhinderung der Ausreise" aus der Türkei vermerkt.

Handy-Videos beweisen das Gegenteil

Anhand dutzender Handy-Aufnahmen der ausgesetzten Flüchtlinge lasse sich das Gegenteil allerdings klar beweisen. In einem Fall vom 13. Mai 2020 ist etwa zu sehen, wie ein Flüchtlingsboot nur noch wenige hundert Meter vor der Küste von einem Schiff der griechischen Küstenwache abgefangen wird. Die Beamten tragen alle Schutzmasken, um nicht erkannt zu werden, und zerstören den Motor des Schlauchboots. Dann holen sie die Flüchtlinge an Bord.

Auf einer weiteren Aufnahme desselben Tages ist zu sehen, wie rund 50 Flüchtlinge nun auf einer provisorischen Schwimminsel aus Gummi zusammengepfercht sind, die von demselben Schiff der griechischen Küstenwache auf das offene Meer hinausgezogen wird. Dann kappen die Grenzwächter das Seil und lassen die Flüchtlinge ohne Motor im Wasser zurück - bis sie nach Stunden von der zuständigen türkischen Küstenwache aufgegriffen und außerhalb der EU-Grenzen in ein türkisches Auffanglager gebracht werden.

Migrant rescue patrol in the Aegean Sea by the Turkish Coast Guard

Der griechischen und türkischen Küstenwache wird im Zusammenspiel mit der EU-Grenzschutzbehörde Frontex die systematische, illegale Aussetzung von Flüchtlingen vorgeworfen.

Für diesen 13. Mai ist zur entsprechenden Uhrzeit auch ein Eintrag in der Frontex-Datenbank vermerkt, allerdings ist hier eben nur von einer "Verhinderung der Ausreise" aus der Türkei die Rede. Dass die Flüchtlinge sich bereits auf EU-Gebiet befanden, wird ebenso verschwiegen wie der illegale Einsatz der griechischen Küstenwache. Auf dem Papier heißt es damit lediglich: Frontex-Beamte entdeckten ein Flüchtlingsboot in griechischen Gewässern und informierten die türkischen Behörden.

EU-Antibetrugsbehörde ermittelt bereits

Ein solches Vorgehen hat bei Frontex System, wie die Recherchen zeigen. Die Dokumentation der Einsätze wird in der Zentrale des EU-Grenzschutzes in Warschau demnach auch nur dürftig geprüft. Das habe sogar das interne Kontrollorgan, der Frontex-Verwaltungsrat, erkannt: Bei einer internen Untersuchung vermerkte ein zuständiger Prüfer in seinem Bericht, die Datenbankeinträge seien "inkonsistent", eine Kollegin bezeichnete sie gar als "fragwürdig". Folgen hatte das offenbar bis heute keine.

Wie das Medien-Quartett berichtet, hat allerdings die Antibetrugsbehörde der EU, genannt Olaf, begonnen zu ermitteln und bereits schwere Vorwürfe gegen drei führende Frontex-Beamte erhoben: Sie hätten wissentlich illegale Pushbacks gedeckt und damit gegen geltendes europäisches Recht verstoßen. Auch das Büro des Frontex-Exekutivdirektors Fabrice Leggeri soll bereits untersucht worden sein.

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