90 Menschen wurden an jenem Abend im Bataclan ermordet, 40 weitere auf Pariser Café- und Restaurant-Terrassen sowie vor dem Fußballstadion Stade de France im Vorort Saint-Denis, wo ein Freundschaftsspiel zwischen Deutschland und Frankreich lief. Hunderte wurden verletzt, Tausende traumatisiert.
Die Attentäter gehörten zu einer von Belgien aus operierenden, weit verzweigten Terrorzelle, die weitere Anschläge plante oder durchführte, wie jene am Flughafen und einer Métrostation in Brüssel am 22. März 2016, bei denen 32 Menschen getötet wurden. Von den zehn Pariser Tätern überlebte nur der heute 31-jährige Franko-Marokkaner Salah Abdeslam, dessen Sprengstoffgürtel defekt war. Er konnte in Brüssel gefasst werden, wurde in Belgien bereits zu 20 Jahren Haft verurteilt und gehört nun zu den 20 Angeklagten in Paris.
Bei den übrigen handelt es sich um weitere mutmaßliche Mitglieder des Terror-Netzwerks und deren Helfer. Sechs von ihnen werden in Abwesenheit verurteilt. Zwölf Männern drohen lebenslange Haftstrafen, unter ihnen Abdeslam.
Längst ist die Rede von einem „Jahrhundert-Prozess“, der bis Ende Mai dauern soll und für den extra ein neuer, stark abgesicherter Verhandlungssaal im Pariser Justizpalast entstand. Es gibt 1.765 Nebenkläger, Hunderte Zeugen treten auf, mehr als 300 Anwälte werden kommen.
Für die Zivilkläger gibt es eine Übertragung über ein Web-Radio und die Verhandlung wird für das Staatsarchiv gefilmt. Das ist in Frankreich sehr selten und lediglich bei herausragenden, historischen Prozessen der Fall, darunter jener zu den Anschlägen gegen das Satiremagazin „Charlie Hebdo“, eine Polizistin und einen jüdischen Supermarkt im Jänner 2015.
Auch Arthur Dénouveaux wird als Zeuge aussagen. „Ich mache das vor allem als Präsident der Vereinigung und weniger wegen meiner eigenen kleinen Geschichte“, sagt er. Viele der Überlebenden hätten nicht die Kraft zu einer Aussage, hätten Angst, es nicht durchzustehen. „Man muss vorbereitet sein, Menschen anzuhören, die psychisch, aber auch körperlich schwer verletzt sind“, warnt Dénouveaux.
Zu jenen, bei denen die Wunden allmählich vernarben, gehört Serge Maestracci. Auch er befand sich an jenem Abend des 13. November 2015 im Bataclan und entkam unversehrt. Das Erlebte verfolgte ihn lange. „Ich entwickelte eine Art Paranoia, dachte, die Mörder sind immer noch hinter mir her“, erzählt der 67-Jährige.
Aber auf seine Weise hat der Pensionist Lektionen aus den traumatischen Erlebnissen gezogen – zuallererst jene, dass das Leben sehr schnell vorbei sein kann. Dass er von jetzt an jede Sekunde bewusst leben wolle. Mit seiner Familie, seinen vier Kindern, aber auch den Dingen, die ihm Spaß machen. Zum Prozess will er gehen. Nicht an jedem der 140 Verhandlungstage, aber immer wieder. Es sei wichtig, dass die Justiz gerechte Strafen für die direkt und indirekt Verantwortlichen finde, dass die Gesellschaft sich mit dem Trauma des 13. November 2015 auseinandersetze. „Wir brauchen ein starkes Signal an alle, die etwas Ähnliches vorhaben.“
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