Silicon Valley oder Müllstadt? Indiens Start-up-Metropole Bangalore

Bengaluru Tech Summit
Riesige Glaspyramiden, eindrucksvolle Säle, Billardtische, Sportplätze, Gemeinschaftsfeste: Im sogenannten „Silicon Valley Indiens“, der im Süden gelegenen Stadt Bangalore, scheinen die großen, modernen Firmen-Campus alles zu haben, was ein Arbeiterherz begehren könnte. Was bei Spaziergängen auf solchen Geländen sofort auffällt und im ersten Moment mehr an eine Universität als an ein großes Unternehmen denken lässt: die vielen jungen Menschen.
Das indische Durchschnittsalter liegt bei gerade mal 28 Jahren – zum Vergleich: In Österreich sind es etwas mehr als 43 Jahre. Indien ist stolz auf seine junge, zumindest teilweise extrem gut ausgebildete und vor allem große Bevölkerung (1,4 Milliarden Einwohner). Das bereits seit Jahren wachsende Interesse des Westens an dieser steigt weiter: Mittlerweile ist ein regelrechter Wettbewerb um Fachkräfte aus Indien, die in Europa fehlen, entstanden.
Auch Österreich will in Zukunft noch stärker mit Indien zusammenarbeiten – das machte Wirtschaftsminister Martin Kocher (ÖVP) diese Woche auf seiner Dienstreise in das südasiatische Land klar.
Aushängeschild
Kein Ort steht mehr für Indiens Innovation, Fortschritt und Modernität als die Start-up-Metropole Bangalore. Wer es als Forscher oder Softwareentwickler zu etwas bringen will, es sich leisten kann und nicht ins Ausland abwandert, kommt hierher. Die vielen Binnenmigranten machen Bangalore zu einer der am schnellsten wachsenden Städte der Welt, im letzten Jahrzehnt hat sich die Bevölkerungszahl etwa auf 14 Millionen verdoppelt. Das sind mehr Einwohner als jede Großstadt Zentraleuropas hat.
Indien gehört zu den am schnellsten wachsenden Volkswirtschaften der Welt und ist mit 7,3 Prozent BIP-Plus aktuell der G-20-Staat mit dem größten Wirtschaftswachstum.
Die EU ist für Indien nach den USA mit einem Anteil von 17 Prozent die zweitwichtigste Exportdestination. 2022 haben Brüssel und Neu-Delhi Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen wiederaufgenommen.
Die Wirtschaft wächst, dennoch existiert weiterhin eine große Arm-Reich-Schere. Es gibt nicht genug Jobs für die vielen Menschen.
Zahlreiche multinationale Tech-Konzerne und Forschungszentren haben ihre Hauptsitze hier, auch staatliche Luft- und Raumfahrtunternehmen. Doch wie lebt es sich als Bewohner?
Die 23-jährige Nisha ist vor drei Jahren aus dem Norden hergezogen, um in einem Forschungslabor zu arbeiten. Für die junge Wissenschafterin ist klar: „Bangalore ist die allerbeste Stadt.“ Warum? Sie gibt eine Antwort, die im ersten Moment banal klingen mag, in Klimakrisenzeiten aber gerade in Indien keineswegs selbstverständlich ist: „Das Wetter ist sehr angenehm, gemäßigt.“

So sieht ein Firmencampus in Bangalore zum Beispiel aus
Mehr Freiheiten
Hier lässt es sich zumindest ein wenig besser atmen als in anderen Städten des Landes - der von starkem, ungesundem Smog geplagten Hauptstadt Neu-Delhi etwa. Im Gegensatz zum sehr hindunationalistisch geprägten Norden gelten Bangalore und der Süden Indiens generell außerdem als liberaler. „Ich fühle mich hier freier und sicherer, kann anziehen, was ich möchte“, sagt Nisha. Über die Vorstellung einer arrangierten Ehe, wie sie in Indien eigentlich noch immer sehr üblich ist, muss sie hier lachen.
Doch so modern dieser Teil Bangalores auch wirkt, die glänzenden Fassaden der Unternehmen und ihre talentierten, jungen Mitarbeiter sind nur ein Teil der Geschichte. So gibt es wie in anderen größeren Städten Indiens auch in Bangalore enorme Probleme, was den chaotischen Verkehr angeht. Der Bauboom der letzten Jahre ging mit einer mangelhaften Infrastrukturplanung einher.
Wassermangel
Das führte nicht nur dazu, dass es heute weniger Grünflächen gibt, sondern auch zu wenig Wasser - hier spielt natürlich auch der Klimawandel eine Rolle. Zahlreiche Wohnkomplexe sind von der Wasserversorgung aus Tankwagen abhängig, aufgrund ausgetrockneter Brunnen findet man aber immer weniger Wasser. Der Preis ist laut lokalen Medien zuletzt deutlich angestiegen. Doch selbst wenn man mehr zahlen kann, ist eine Lieferung nicht mehr garantiert. Für diesen Sommer wird deshalb eine Krise befürchtet.

Auch das ist Bangalore
Ethnische Spannungen
Das Müllsystem funktioniert ebenfalls kaum, so wird die einstige „Gartenstadt“ heute von manchen „Müllstadt“ genannt. Auch mehrere Hundert Slums gibt es hier. Und weil nicht nur Hindus, sondern auch viele Muslime und Angehörige anderer Minderheiten zum Arbeiten nach Bangalore ziehen - wenn auch oft nicht als Programmierer oder Forscher, sondern etwa als Putzkräfte -, gibt es immer mehr ethnische Spannungen.
Oft zu hören ist der Begriff „Business-Dschihad“. So wie die Muslime bei der ebenfalls gängigen Verschwörungstheorie des „Liebes-Dschihad“ versuchen, Hindus zu verführen und sie damit zum Konvertieren zu bringen, wollen sie laut „Business-Dschihad“ ihre Gewinne verwenden, um Aktivitäten gegen Hindus zu finanzieren. Für beide Narrative gibt es keine Beweise.
Nicht zuletzt müssen auch die Arbeitsbedingungen zumindest in manchen Firmen kritisch betrachtet werden. Für Arbeitnehmer gibt es in Indien kaum Schutz, die Burn-out-Quote ist eine der weltweit höchsten. Was manchmal von Angestellten erwartet wird, zeigte wohl 2023 ein Aufruf von Narayana Murthy, Gründer von Infosys, eines der größten IT-Unternehmen Bangalores: Er forderte die Jungen zur 70-Stunden-Arbeitswoche auf - damit Indien noch wettbewerbsfähiger wird.
Der KURIER begleitete Wirtschafts- und Arbeitsminister Martin Kocher auf Einladung.
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