"Liebes-Dschihad": Von arrangierten Ehen und religiösen Fanatikern
Etwa 90 Prozent der Ehen in Indien sind arrangiert. Die Iranerin Romina und der Inder Ved haben sich allein verliebt - und mussten vielen Widerständen trotzen, um zusammenbleiben zu können.
Romina und Ved saßen in einem Taxi zum Flughafen, als sie sich ihre Gefühle füreinander gestanden. "Sie hat mir zuerst gesagt, dass sie mich mag. In dem Moment war mir klar, dass ich mich in sie verliebt hatte", erinnert Ved sich in einem Telefonat mit dem KURIER zurück. Ihre Verbindung zueinander sei von Anfang an fürsorglich gewesen, habe sich ganz natürlich angefühlt.
Die Beiden hatten sich im berühmten Lotus-Tempel in Neu-Delhi kennengelernt, wo sie als Freiwillige arbeiteten. "Wir hatten eine gemeinsame Freundesgruppe, aber es war, als ob uns etwas Unbekanntes miteinander verband", sagen sie heute über diese Zeit.
Das war 2011, mittlerweile sind Romina und Ved, beide 34 Jahre alt, verheiratet. Sie leben mit ihrem fast vierjährigen Sohn Vivaan in der indischen Stadt Lakhnau, im Bundesstaat Uttar Pradesh, und führen ein "glückliches Eheleben", wie sie selbst sagen. Dass das möglich ist, ist jedoch alles andere als selbstverständlich.
Denn Romina ist Iranerin, Ved Inder. Sie trotzten nicht nur der räumlichen Distanz zwischen sich - nach der ersten Liebeserklärung im Taxi flog Romina zurück in ihre Heimat, sie führten zwei Jahre lang eine Fernbeziehung -, sondern auch gesellschaftlichen und religiösen Barrieren.
Meistens entscheidet die Familie mit
Als Romina Ved 2013 in den Iran einlud, um ihre Familie kennenzulernen, heirateten sie innerhalb von drei Wochen. Damit gingen sie aus Sicht vieler Inder eine sogenannte "Liebesehe" ein, da sie sich allein kennengelernt hatten. Die allermeisten Ehen in Indien sind keine Liebesehen.
Ungefähr 90 Prozent der Ehen werden noch immer von Verwandten arrangiert. Zahlreiche Faktoren spielen dabei eine Rolle, etwa:
Wie viel Geld verdient der potenzielle Ehemann?
Wäre die Mitgift hoch genug?
Hatte die Kandidatin schon mal eine romantische Beziehung mit einem anderen Mann? Passen die Familien zueinander?
Zentral ist jedoch vor allem derselbe Glaube sowie bei den Hindus die gleiche Kastenzugehörigkeit, die offiziell eigentlich schon lange abgeschafft wurde.
Nicht alle werdenden Bräute und Bräutigame finden dieses Vorgehen schrecklich. Manche sind sogar froh über die "Hilfe" ihrer Verwandten, ist die Partnersuche für sie doch oft mit Druck und Unsicherheit verbunden. Normalerweise können die künftigen Ehefrauen und -männer zudem mitentscheiden und mehrere „Auserwählte“ kennenlernen, bevor sie sich festlegen.
Natürlich gibt es auch die andere Seite: Unglückliche Ehen ohne Liebe zum Beispiel, dafür oft mit Gewalt.
Und wer sich in jemanden verliebt, den die Familie nicht ausgesucht hat, stößt oftmals auf Unverständnis – wie wahrscheinlich ist es schließlich schon, dass dabei nicht nur die eigenen, sondern auch alle Erwartungen von Eltern und Co. erfüllt werden?
Von der Dorfgemeinschaft verstoßen
Ved ist hinduistisch aufgewachsen: „Meine Familie hat mich als Kind in den Tempel mitgenommen, aber das hat mich nie wirklich interessiert.“ Irgendwann habe er einen Flyer der Bahai in die Hände bekommen – eine monotheistische Glaubensgemeinschaft, die vor rund 150 Jahren im muslimisch geprägten Persien entstanden ist und alle anderen Religionen sowie die Menschheit als Einheit sieht.
Nachdem er den Lotus-Tempel - jener Bahai-Tempel, in dem er später mit Romina zusammenarbeitete - zum ersten Mal besucht hatte, konvertierte er. Seiner Dorfgemeinschaft erzählte er davon bis heute nichts. Die Leute dort hätten es nie verstanden, glaubt er.
Als die Gemeinschaft von Romina - sie wurde in einer Bahai-Familie groß - erfuhr, wurde er ausgeschlossen. „Sie denken, meine Frau ist Muslima, weil sie aus dem Iran kommt. Und sie denken, dass ich Rindfleisch esse", so Ved (Kühe sind im Hinduismus heilig, sie zu essen ist daher ein Tabu, Anm.). Beides stimme nicht.
Seine engere Familie, die ihm seine Partnerin nie aussuchen wollte, habe verständnisvoller reagiert - auf seine Glaubensänderung und seine Ehe: „Sie sagen, wenn ich glücklich bin, sind sie es auch.“ In vielen indischen Familien wäre das anders.
Zahl der Ehrenmorde im Norden gestiegen
Vor allem im hindunationalistischen Norden des Landes kann eine interreligiöse bzw. interkulturelle, aber auch eine homosexuelle Partnerschaft lebensgefährlich sein – in den letzten 25 Jahren ist die Anzahl der Ehrenmorde dort vielerorts gestiegen. Es gibt zahlreiche Berichte von Paaren, die sich aus Angst vor gewaltsamen Angriffen vor ihren eigenen Familien verstecken.
Ehen zwischen Hindus und Muslimen sind besonders verschrien. Schnell fällt dabei der Begriff „Liebes-Dschihad“. Dahinter steckt eine umstrittene Theorie, nach der zahlreiche muslimische Männer gezielt Hindu-Frauen verführen, um sie zum Islam zu bekehren. Ihr großes Ziel sei es, die hinduistische Mehrheit im Land zu schwächen, sie gar zu einer Minderheit zu machen.
Beweise für eine derartige Verschwörung gibt es keine. Dennoch wurde der Begriff von mehreren Politikern aus Premierminister Narendra Modis hindunationalistischer Partei BJP aufgegriffen. Interreligiöse Paare müssen standesamtlich heiraten, ihre Ehen werden vom „Special Marriage Act“ geregelt – das bedeutet unter anderem, dass sie sich vor der Hochzeit mit Namen und Adresse öffentlich melden müssen. Immer wieder soll es daraufhin zu Einschüchterungsversuchen durch religiöse Fanatiker kommen.
Beweise verlangt
Wer seinen Glauben ändert, muss zudem mittlerweile in einigen Bundesstaaten beweisen, dass er oder sie nicht vom Partner dazu verführt worden ist. Ansonsten drohen Gefängnisstrafen.
Auch Ved wurde innerhalb seiner alten Dorfgemeinschaft mit dem Begriff „Liebes-Dschihad“ konfrontiert, als er Romina heiratete. Die zweite Hochzeit fiel ebenfalls unter den „Special Marriage Act“, ihre Hochzeit im Iran reichte dem indischen Staat nicht.
Danach war es nicht einfach, die Heirat registrieren zu lassen: „Uns wurde bei mehreren Standesämtern gesagt, dass das aufgrund von Rominas Herkunft nicht geht.“ Am Ende hätten sie „viel Geld bezahlen“ müssen, damit es doch klappte.
Bahais im Iran unter Druck
Der Iran hat ihre Eheschließung umgekehrt bis heute nicht anerkannt. Bahais bilden dort die größte religiöse Minderheit und werden bereits seit vielen Jahren systematisch diskriminiert, unter Präsident Ebrahim Raisi verschärfte sich die Situation noch einmal deutlich: Im Sommer 2022 zerstörten iranische Sicherheitskräfte Berichten zufolge etwa mehrere Bahai-Häuser mit Bulldozern und beschlagnahmten Wertgegenstände.
Ved musste den Iran und seine Familie aufgrund seines Glaubens 2021 verlassen – innerhalb von sechs Tagen. Die iranischen Behörden hätten Romina und den damals ein paar Monate alten Sohn nicht mitreisen lassen, so das Ehepaar. Erst nach zehn Monaten hätten sie alle erforderlichen Reisedokumente erhalten und konnten nach Indien nachkommen. Doch Romina dürfe jetzt nicht mehr zu ihrer Familie in den Iran zurückreisen, andernfalls sei ihr bereits mit einer Haftstrafe gedroht worden.
"India Love Project"
Die beiden sind froh, all diese Hindernisse überwunden zu haben. Dass Rominas und Veds Geschichte kein Einzelfall ist, zeigt das „India Love Project“ - eine Social-Media-Initiative, die drei indische Journalisten 2020 ins Leben gerufen haben.
Auf InstagramundFacebook posten sie regelmäßig wahre Geschichten über „Liebe und Ehe außerhalb der Fesseln von Glaube, Kaste, ethnischer Zugehörigkeit und Geschlecht“, wie es in der Seitenbeschreibung heißt. Für diesen Valentinstag hat Amazon Prime India angekündigt, sechs dieser Liebesgeschichten in Form einer Mini-Serie namens „Love Storiyaan“ zu veröffentlichen:
Auch Ved und Romina haben ihre Erfahrungen im „India Love Project“ geteilt:
Für die beiden ist klar: Egal, wen ihr Sohn später einmal heiraten will oder woran er glauben möchte, sie werden ihn dabei unterstützen. Und sie hoffen, dass mehr Menschen das in Zukunft so machen werden.
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