Zuletzt hatte man es sehr eilig. Rechtzeitig vor dem Klimagipfel von US-Präsident Joe Biden am Donnerstag wollten EU-Staaten und Europaparlament ihre Verhandlungen mit einer historischen Einigung beschließen, es gelang mit stundenlangen, nächtlichen Gespächen bis Mittwoch früh:
Schließlich gab es sie, die Einigung auf ein verbindliches europäisches Klimagesetz. Das Wichtigste dabei: Bis 2030 muss die EU ihre Treibhausgasemissionen um 55 Prozent senken (ausgehend vom Niveau 1990).
"Ein Meilenstein"
Österreichs Klimaschutzministerin Leonore Gewessler sieht darin einen „Meilenstein, der vor einem Jahr noch kaum vorstellbar war. Aber es ist auch klar: Wir befinden uns im Klimaschutz auf einer Aufholjagd." Nun sei die konkrete Umsetzung dieses Ziels wesentlich, "damit uns der Kampf gegen die Klimakrise gelingt.“
Was zunächst papieren klingt, wird Leben und Wirtschaft aller Europäer auf die kommenden Jahrzehnte hin verändern. Es gibt die großen Koordinaten für Europas verschärften Kampf gegen den Klimawandel vor.
Gegen Klimachaos
Verhandelt haben EU-Abgeordnete, Kommissions- und Staatenvertreter („Trilog“). Dabei war man sich schon in Einem einig: Bis 2050 muss Europa ein klimaneutraler Kontinent sein: Es dürfen also nicht mehr Treibhausgase ausgestoßen werden als anderswo gespeichert werden können.
Umstritten blieb bis zuletzt das erste Etappenziel - die Senkung der Treibhausgase in Europa bis 2030. „Das Schicksal unseres Planeten entscheidet sich in den nächsten zehn Jahren“, warnt Jytte Guteland. Die schwedische EU-Abgeordnete und Parlaments-Berichterstatterin für das EU-Klimagesetz sagt: „Was wir bis 2030 tun oder lassen, ist entscheidend für die Vermeidung von Klimakipppunkten, Klimachaos und irreversiblen Schäden durch die Erderhitzung.“
Ehrgeiziges Etappenziel
Bisher galt: Die EU muss ihre Emissionen um 40 Prozent senken (ausgehend vom Niveau von 1990). Das ist erst zum Teil gelungen: In den vergangenen 30 Jahren sanken die Emissionen um rund 25 Prozent.
"Und auch das überwiegend, weil Energiesparmaßnahmen zum Tragen kamen. Aber an den großen politischen Stellschrauben und echten, gewaltigen Einschnitten wurde noch nicht gearbeitet", sagt ein mit den Verhandlungen vertrauter EU-Diplomat. Das wird sich nun ändern.
Mit großen Mühen hatten sich die 27 EU-Regierungen im Dezember auf das Ziel geeinigt, die Reduktion der Treibhausgase auf 55 Prozent hoch zu schrauben. Das EU-Parlament wollte 60 Prozent, konnte sich aber damit nicht durchsetzen- es bleibt beim 55-Prozent-Ziel.
Geophysiker und Klimatologen haben festgestellt, dass die Verbrennung von fossilen Energieträgern wie Kohle, Erdöl oder Erdgas die CO2-Konzentration in der Atmosphäre erhöht und so die natürliche Wärmeabstrahlung ins Weltall behindert wird. Das wirkt wie das Glas in einem Treibhaus, die Folge ist, dass sich das Klima erwärmt.
Wetterextreme
Zwar gab es schon kältere und wärmere Perioden in der Erdgeschichte, aber noch nie einen derart rasanten Klimawandel, der zu Artensterben, Wetterextremen wie Überschwemmungen oder Dürren und Eisschmelze führt. Das Jahr 2020 war laut Weltwetterorganisation eines der drei wärmsten je registrierten Jahre.
Und bis zuletzt gab es heftigen Streit – um den Wald.
Den wollen Staaten und Regierungen als wichtige Co2-Senke anrechnen lassen - was wiederum Michael Bloss, Verhandlungsführer der Grünen EU-Abgeordneten für das Klimagesetz höchst empörte: "Der ganze Green Deal ist so in Gefahr! Wenn wir das machen, können wir Europäer uns nicht Klimachampions nennen."
Streit um Wald
Zur Erklärung: Europas Wälder absorbieren jährlich knapp 9 Prozent der europäischen Triebhausgasemissionen. Die Befürchtungen der Grünen: Wird dies einberechnet in das Ziel, um 55 Prozent weniger Treibhausgase auszustoßen, würde dies bedeuten, dass die echten Einsparungen nicht so hoch angesetzt werden müssen. Anders gesagt: Zahlentrickserei.
Dadurch würde das faktische Senkungsziel nur noch 52,8 Prozent betragen. "Und das ist viel zu wenig", ärgert sich Grünen-Abgeordneter Bloss. Letztendlich aber lautete das Ergebnis der Verhanldungen: Der Wald wird als Co2-Senke eingerechnet.
Die Parlamentarier handelten aber heraus, dass die Anrechnung der Senken auf 225 Millionen Tonnen Kohlendioxid begrenzt wird. Die EU-Kommission soll durch Aufforstung die Bindekraft der Wälder auf 300 Millionen Tonnen Kohlendioxid erhöhen, sodass netto mehr als 55 Prozent Treibhausgase eingespart werden können.
Dabei hatte auch Klimawissenschafter Stefan Rahmstorf (Uni Potsdam) gewarnt: "Wir sollten das nicht gegenrechnen. Der Kohlenstoff in den Bäumen ist nicht sicher gespeichert." Später beim Fällen, bei Bränden, durch den Borkenkäfer würde der Kohlenstoff wieder frei.
Österreichs Verkehrsproblem
Zu klären galt es schließlich auch noch: Muss jedes einzelne Land seine Emissionen um jeweils 55 Prozent senken? Oder reicht es, wenn die EU als Ganzes dieses Ziel erreicht?
Wobei das Kohle-lastige Polen schon von vornherein signalisierte: Unmöglich. Und auch die Inseln Malta und Zypern winkten ab. Sie würden binnen zehn Jahren nie und nimmer auf eine Reduktion von 55 Prozent ihrer Treibhausgase kommen. Mit diesem Standpunkt haben sie sich durchgesetzt. Die EU muss also bis 2030 das Ziel erreichen, als Kollektiv die Treibhausgase um 55 Prozent zu senken.
Auch Österreich hat eine gewaltige Anstrengung vor sich. Größte Aufgabe bleiben dabei die Emissionen aus dem Verkehr.
Die Einigung auf der EU-Klimagesetz ist nun eine Sache - die Umsetzung der neuen Klimapolitik eine ganz andere. Ab Juni geht es Schlag auf Schlag.
Dann wird die Kommission zahlreiche Gesetzesvorschläge auf den Tisch legen: Wie Gebäude klimagerecht saniert werden müssen. Welche Wirtschaftsbereiche künftig auch in den Emmissionshandel einzubeziehen sind, etwa der Seeverkehr. Welche Investitionen künftig nachhaltig sind. Wie viel Co2 ein Auto ausstoßen darf.....
Spätestens dann wird sich zeigen: Umwelt- und Klimaschutz sind nicht zum Nullkostentarif zu haben, die Preise für Konsumenten werden in vielen Bereichen steigen.
Adieu, Gastherme
Für Österreicher bedeutet die Umsetzung des EU-Klimagesetzes unter anderem: Der Abschied von der Ölheizung und der Gastherme und - eher früher als später, aber sicher allerspätestens ab 2035 - den Abschied vom Verbrennungsmotor.
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