Während Russland laut US-Außenministerium ballistische Raketen aus dem Iran erhalten haben soll und seit Ende 2023 ukrainische Städte mit KN-23-Raketen aus Nordkorea bombardiert, erlaubten die Niederlande Kiew, Ziele in Russland mit niederländischen Waffen ohne Reichweitenbeschränkungen anzugreifen. Am Freitag trifft sich US-Präsident Joe Biden laut US-Außenministerium mit dem britischen Premier Keir Starmer, um darüber zu beraten, ob die Ukraine auch US- und britische Waffen gegen Ziele tief in russischem Territorium einsetzen darf. Um welche Waffen geht es konkret und was würde eine Aufhebung der Reichweitenbeschränkungen bedeuten? Der KURIER liefert Antworten.
Die Niederlande haben am Montag die Reichweitenbeschränkungen für Kiew aufgehoben – was bedeutet das?
„Ja, die Ukraine kann unsere Waffen auf russischem Territorium zur Selbstverteidigung in Übereinstimmung mit dem internationalen Recht einsetzen. Kiew hat das Recht, sich zu verteidigen. Wenn das Land von Grenzgebieten oder russischen Flugplätzen aus angegriffen wird, kann es auf militärische Objekte zielen. Dasselbe gilt für feindliche Raketen - auch sie können von unseren Waffen über russischem Territorium abgefangen werden“, sagte Verteidigungsminister Ruben Brekelmans.
Allerdings wären in puncto Niederlande nur die F-16-Kampfjets betroffen, die Den Haag geliefert hat. F-16 in Russland einzusetzen würde mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit den Abschuss derselben bedeuten.
Wie sieht das Völkerrecht den Einsatz ukrainischer Waffen gegen russisches Territorium?
Der Ukraine steht nach Artikel 51 der UN-Charta das Recht auf Selbstverteidigung zu, solange es keine Beschränkungen vonseiten des UN-Sicherheitsrats gibt. Dieser ist allerdings blockiert – rein völkerrechtlich gibt es also keine Einschränkungen für Kiew, wenn es darum geht, militärische Ziele auf russischem Territorium anzugreifen.
Gab es nicht bereits im Mai die Erlaubnis für die Ukraine, russisches Territorium mit westlichen Waffen anzugreifen?
Ja. Ein generelles Verbot, Ziele in Russland anzugreifen, wurde von Washington im Mai aufgehoben, als die russischen Streitkräfte eine neue Front im Raum Charkiw eröffneten. Allerdings beinhaltet die Aufhebung nur Truppenkonzentrationen, die direkt an der Grenze einen Angriff vorbereiten, beziehungsweise Artilleriesysteme an der Front.
Als die Ukrainer vor einem Monat in Kursk einmarschierten, setzten sie unter anderem HIMAR-Systeme gegen die russischen Streitkräfte ein, die zur Abwehr des Angriffs bereitstanden. Offiziell erhob Washington keine Einwände.
Warum steigt Washington bislang auf die Bremse?
Seit Beginn der russischen Invasion hat Washington stets mit einer gewissen Verzögerung auf neue Entwicklungen reagiert. Sei es die Lieferung von HIMARS und Flugabwehrsystemen, die Lieferung von Kampfpanzern, Kampfjets oder ATACMS-Raketen. Man will die Eskalationsspirale einhalten, ist eine Interpretation. Dazu gesellt sich der Vorwurf, dass durch die verzögerte Reaktion der USA viele ukrainische Soldaten und Zivilisten sterben würden. Die USA seien ein Gewinner dieses Kriegs, der auf Kosten ukrainischer und russischer Menschenleben geführt würde.
Wie dürfte Russland reagieren?
Mit erneuten Drohungen, sollte Biden sein Placet geben. Nukleare Drohungen vonseiten Russlands gibt es de facto regelmäßig seit Beginn der Invasion. Als etwa im Herbst 2022 absehbar wurde, dass sich die russischen Streitkräfte aus der Stadt Cherson zurückziehen müssten, war plötzlich die Gefahr eines russischen Atomschlags in aller Munde. Wenige Wochen später zogen 30.000 russische Soldaten aus der Stadt ab, verließen sie über die Brücke über den Dnipro.
Der Fakt, dass die ukrainischen Streitkräfte diese Soldaten nicht angriffen, legt die Vermutung mehr als nahe, dass der Abzug zwischen Washington und Moskau gegen Garantien verhandelt wurde. Ein direkter Draht zwischen Washington und Moskau ist also vorhanden. Und auch wenn der Kreml mit Konsequenzen droht, ist ein direkter nuklearer Schlag nach wie vor unwahrscheinlich. Die Konsequenzen wären für alle Beteiligten verheerend. Realistischer – und auch das zeichnet sich nicht ab – wäre die Zündung einer russischen Atombombe über dem Schwarzen Meer als Warnung.
Welche Systeme wollen die Ukrainer einsetzen?
Vor allem geht es Kiew um den Einsatz der ATACMS-Raketen (Army TACtical Missile System), die über eine Reichweite von 300 Kilometern verfügen. Etwa 250 russische militärische Objekte würden sich in ATACMS-Reichweite befinden, darunter 17 Flugplätze, Stützpunkte, Logistikzentren oder Munitionslager.
Bislang wurden ATACMS-Raketen vor allem gegen Ziele auf der Krim, aber auch in Donezk und Lugansk eingesetzt.
Aber auch ein Einsatz der britischen Storm Shadows, beziehungsweise französischen SCALP steht zur Debatte.
Die Ukraine greift regelmäßig russische Ziele außerhalb der 300Km-Reichweite an – wie geht das?
Dabei handelt es sich um Drohnen ukrainischer Bauart. In der Nacht auf Dienstag etwa griff Kiew etwa mit 144 Drohnen Russland, unter anderem Moskau, an. Dabei wurden mindestens zwei Hochhäuser im Moskauer Stadtteil Ramenskoje beschädigt. Eine 46-jährige Frau wurde laut russischen Quellen getötet, drei Menschen verletzt.
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