„Wir sollten Putin im Dunkeln über unsere Absichten lassen“, sagt Polens Außenminister Radoslaw Sikorski und bringt gleichzeitig einen Einsatz polnischer Truppen in der Ukraine im Spiel. Welche Rolle sie dort spielen könnten, ließ er im Dunkeln. Damit ist Sikorski nicht allein: Drei Monate nach Emmanuel Macrons lauten Überlegungen zu französischen Bodentruppen in der Ukraine ist weiterhin unklar, wann, wie, wo und ob überhaupt NATO-Soldaten auf ukrainischem Territorium zum Einsatz kommen sollen.
Unklarheit als Kalkül?
Erst Montagabend erklärte der Oberbefehlshaber der ukrainischen Streitkräfte, Olexander Syrskyj, dass eine Ausbildungsmission französischer Soldaten auf ukrainischem Boden beschlossene Sache sei – am Dienstag revidierte der ukrainische Verteidigungsminister Rustem Umerow diese Aussage dann. Eine Ausbildungsmission im Westen der Ukraine scheint derzeit das realistischste Szenario zu sein.
Eine weitere, weitaus riskantere Alternative wäre, dass NATO-Soldaten die ukrainisch-belarussische Grenze schützen – und dadurch bis zu 140.000 ukrainische Soldaten freimachen, die an der Front im Osten eingesetzt werden könnten. Ein erneuter russischer Angriff von Norden würde dadurch unwahrscheinlicher, müsste man doch zuerst gegen offizielle NATO-Truppen kämpfen. Fraglich ist jedoch, ob Putin sich davon abhalten ließe. Das Risiko ist schwer kalkulierbar.
Kein Bündnisfall
Fest steht: Sollten NATO-Soldaten in der Ukraine von russischen Soldaten angegriffen werden, würde damit nicht der NATO-Bündnisfall in Kraft treten. Während stark anzunehmen ist, dass Frankreich zumindest die Olympischen Spiele in Paris abwarten möchte, ehe es tatsächlich Soldaten schickt, treibt derzeit eine andere Frage die NATO um: Soll der Ukraine erlaubt werden, NATO-Waffen gegen Ziele auf russischem Territorium einzusetzen?
Geht es nach NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg, lautet die Antwort „Ja“. „Es ergibt keinen Sinn, dass Raketen nicht gegen Russland eingesetzt werden können, während Russland Kiew beschießt“, heißt es dazu von Seiten Großbritanniens. Auch Tschechiens Ministerpräsident Petr Fiala schloss sich Stoltenberg an.
Scholz schwenkt um
Dienstagabend schwenkte der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz überraschend um, nachdem er den französischen Präsidenten Emmanuel Macron getroffen hatte. Er erklärte dazu, dass es für den Einsatz der in die Ukraine gelieferten Waffen Regelungen gebe, dass sich dieser "immer im Rahmen des Völkerrechts bewegen muss". Dies habe bisher gut funktioniert, sagte er. Er verwies zudem darauf, dass Deutschland und Frankreich "unterschiedliche Waffen zur Verfügung gestellt haben".
Entscheidend wird jedoch die Antwort des größten Waffenlieferanten der Ukraine sein: der USA. Und da entbrennt laut New York Times seit einigen Tagen eine Debatte, die ein seit Beginn der russischen Invasion bestehendes Dogma beenden könnte: „Wir wollen den Dritten Weltkrieg vermeiden“, hatte US-Präsident Joe Biden stets betont.
Und so kam es, dass die Ukraine von den USA meist gerade so unterstützt wurde, dass sie „zum Leben zu wenig, zum Sterben zu viel“ hatte, wie es etwa Militärexperte Oberst Markus Reisner stets betont.
Auf Betreiben des US-Außenministeriums soll das Dogma derzeit allerdings diskutiert werden. Man wolle das Verbot, US-Waffen gegen Ziele auf russischem Territorium einzusetzen, auflockern, sodass Raketen- und Artilleriesysteme direkt hinter der Grenze beschossen werden könnten. Dies wäre – aus rein militärischer Sicht – notwendig, wollte man die jüngsten russischen Geländegewinne im Raum Charkiw zunichte machen.
Dafür würden sich vor allem die ATACMS-Raketen (Army TACtical Missile System) eignen, die seit einigen Wochen in größerer Zahl in die Ukraine geliefert werden und die bereits Russlands moderne S-400-Flugabwehrsysteme ausschalten konnten. Gleichzeitig wird es nicht lange dauern, bis die Russen – wie bei bisherigen Systemen – ein adäquates Gegenmittel finden.
Putin warnt vor Einsatz westlicher Waffen gegen Ziele in Russland
Der Kreml wird außerdem nicht müde, die Konsequenzen zu betonen, sollte das Placet aus Washington kommen. So drohte Kremlchef Wladimir Putin am Dienstag mit ernsten Konsequenzen, sollte der Westen der Ukraine grünes Licht für den Einsatz seiner Waffen gegen Ziele in Russland geben. "Diese ständige Eskalation kann zu ernsten Konsequenzen führen", sagte Putin bei einem Besuch in Usbekistan. "In Europa, besonders in den kleinen Staaten, sollten sie sich bewusst machen, womit sie da spielen."
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