Assads Drogenimperium reicht bis nach Europa
Da staunten die Beamten der Finanzpolizei im italienischen Salerno nicht schlecht, als sie die Containerladung gewaltiger Maschinenteile zerlegten: Versteckt unter Stahlplatten und einer dicken Ölschicht stießen sie auf mehr als 84 Millionen Captagon-Tabletten – ein Aufputschmittel, das ursprünglich zur Behandlung von ADHS eingesetzt, inzwischen aber weltweit verboten wurde. Der Drogenfund vom Juli 2020 in Salerno war der bis dahin größte weltweit. "Verdächtig war vor allem die Herkunft der Container", erklärte damals der Einsatzleiter Danilo Toma. Denn die Drogenladung war von der syrischen Hafenstadt Latakia aus verschifft worden.
Syrien bietet perfekte Bedingungen
In dem Land, wo seit mittlerweile mehr als zehn Jahren ein blutiger Bürgerkrieg tobt, wird der Großteil der heutzutage in Umlauf befindlichen Tabletten produziert und vertrieben. Die Wirtschaft Syriens liegt brach, etliche Häuser oder Stadtviertel sind weitestgehend verlassen. Perfekte Bedingungen für ein verstecktes Drogenimperium.
Konsumiert wird Captagon hauptsächlich in den reichen Golfstaaten (s. Grafik), wo es sich schon Ende der 1980er als Freizeitdroge etabliert hat. Dass die Ladungen zuerst nach Europa oder Asien verschifft werden, erschwert die Rückverfolgung. Alleine in diesem Jahr wurden weltweit mehr als 250 Millionen Tabletten konfisziert, 18 Mal so viele wie noch 2017.
Von den syrischen Behörden erwartet sich bei der Bekämpfung des Drogenhandels kaum jemand Hilfe. So erklärte der ehemalige US-Sondergesandte in Syrien, Joel Rayburn, gegenüber der New York Times: "Es ist nicht so, das die syrische Regierung wegschaut, während die Drogenkartelle ihre Arbeit erledigen. Sie ist das Kartell."
Rayburn ist nicht der Einzige, der eine Verstrickung des Assad-Regimes in den Drogenhandel sieht. Aus mehr als zehn Ländern gibt es inzwischen Berichte, denen zufolge die Produktion und der Vertrieb der Captagon-Tabletten weitestgehend von der vierten Panzerdivision der syrischen Armee organisiert wird – einer Eliteeinheit unter dem Kommando von Maher al-Assad, dem jüngeren Bruder des syrischen Präsidenten. Die Tabletten werden dabei von einem Netzwerk aus kleinen Fabriken hergestellt, als einer der wichtigsten Umschlagplätze in Damaskus soll aber eine Offiziersschule der syrischen Armee dienen.
Assad und seine Getreuen haben auch keinerlei Intentionen, damit aufzuhören, schließlich war der geschätzte Wert des syrischen Drogenhandels im vergangenen Jahr mehr als dreimal so hoch (ca. 3 Mrd. Dollar) wie jener der legalen Exporte (860 Mio.).
Um ein derart erfolgreiches System am Laufen zu halten, braucht das Regime natürlich Verbündete. Zum einen sind das ausgewählte syrische Geschäftsleute, die der Familie al-Assad nahestehen. Ihre Logistik- und Sicherheitsfirmen sorgen für den reibungslosen Transport der Ware – auch in Form von Containern ins Ausland.
Neue Konkurrenz für den Libanon
Captagon – in arabischen Medien oft als "Dschihadistendroge" bezeichnet, ist im Nahen Osten nichts Neues. Ursprünglich wurden die Pillen vor allem im Libanon produziert – während des Bürgerkriegs von 1975 bis 1990 verdienten alle Seiten am Drogengeschäft, vor allem mit südamerikanischen Kokain und Haschisch-Anbau in der Bekaa-Ebene. Die mit wenigen Mitteln bewerkstelligbare Produktion von Captagon kam bald dazu, Syrien hat sich allerdings zur starken Konkurrenz entwickelt. Ein Vorteil für die libanesischen Drogenringe ist ihre jahrzehntelange Erfahrung und das etablierte Netzwerk.
Ein aktuelles Beispiel führt etwa nach Österreich: Am 14. Dezember startet in Salzburg ein Prozess gegen eine international agierende Großbande, die 13,8 Millionen Captagon-Tabletten vertrieben haben sollen. Die Pillen sollen aus dem Libanon nach Österreich eingeschmuggelt und in Salzburg in einer Pizzeria versteckt worden sein. Verpackt in elektronischen Geräten sollten die Captagon-Tabletten dann nach Saudi-Arabien verschickt werden.
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