Sollte Joe Biden in den nächsten Tagen einen leichten Schnupfen bekommen, dann war Unachtsamkeit in einem historischen Augenblick der Grund. Noch nie seit dem Zweiten Weltkrieg hat ein amerikanischer Präsident ein derart dickes Investitionspaket zur Erneuerung der Vereinigten Staaten unterzeichnet wie am früh-winterlich kalten Montagnachmittag auf dem Südrasen des Weißen Hauses.
Mit knapp 1.000 Milliarden Dollar werden Straßen, Brücken, Häfen, Flughäfen, der Nahverkehr, die Bahn sowie Stromnetze, Wasserleitungen wie Internet auf Vordermann gebracht. Gute News für Firmen und Hunderttausende Arbeitnehmer. "Amerika ist wieder in Bewegung", sagte der 78-Jährige im Jackett und mit vom steifen Wind leicht geröteter Nase vor Hunderten Gästen. Und versprach seinen Landsleuten: "Ihr Leben wird sich zum Besseren verändern."
Was aus seinem eigenen (politischen) Leben wird, ist zehn Monate nach Amtsantritt ungewisser denn je. Just vor dem „Kräftemessen“ der Staatenlenker Chinas und der USA zeigten sich in Umfragen nur noch 41 Prozent der Bürger mit dem Demokraten zufrieden. 53 Prozent halten ihn für einen schlechten Präsidenten. Zahlen auf Trump-Niveau. Weil ständig nach unten weisend, gefährlich für Biden. Und wenig beeindruckend für den chinesischen Gesprächspartner, der auf einer Welle des Selbstvertrauens schwimmt.
Der Grund für den Unmut liegt im Urteilsvermögen der Regierung. Sie hatte nach den Chaos-Jahren unter Trump Professionalität und Weitsicht versprochen. Drei Beispiele lassen daran zweifeln: Biden sah das Corona-Virus auf dem Rückzug – Trugschluss. Die Zahlen von Infizierten, Toten und Ungeimpften sind weiter erschreckend hoch. Noch im August erklärte das Weiße Haus, es sei nicht zwangsläufig so, dass die Taliban nach dem US-Truppenabzug in Afghanistan das Land an sich reißen – Fehlurteil.
Preis-Explosion
Im Juni erklärten Bidens Top-Wirtschaftsberater, die anziehende Inflation sei ein temporäres Phänomen – komplett daneben. Die Teuerung lag zuletzt stabil über sechs Prozent. So hoch wie seit 30 Jahren nicht mehr. Die Amerikaner stöhnen über Preis-Explosionen bei Benzin, Lebensmittel, Miete, Heizung. "Ich kann mir auf Dauer keine dreistelligen Rechnungen für das Nötigste beim Wocheneinkauf leisten", sagte eine Lehrerin in Washington vor einem Supermarkt dem KURIER.
Die oppositionellen Republikaner lassen bereits genüsslich durchrechnen, dass der Thanksgiving-Truthahn in diesem Jahr locker 15 Dollar mehr kosten kann; von den Geschenken für Weihnachten ganz zu schweigen.
Kaum Spielraum
Biden hat die Inflationsbekämpfung zwar zur "obersten Priorität" erklärt. Ökonomen halten seinen Spielraum allerdings für arg begrenzt. Sie rechnen bis weit ins nächste Jahr mit extremer Teuerung. Das Datum wäre heikel.
Denn Bidens Hoffnungen, um nicht mit seiner Partei angeschossen in die Kongresswahlen im nächsten November gehen zu müssen, sehen so aus: Die Corona-Pandemie schleicht bis Ostern aus. Die Wirtschaft, angefeuert auch durch das Infrastruktur-Programm, zieht an. Die aktuellen Lieferketten-Probleme erledigen sich bis dahin. Der Arbeitsmarkt, wo Millionen händeringend gesucht werden, während Millionen freiwillig ihre Jobs verlassen, wird stabilisiert. Damit auch die Umfragen.
Allerdings könnten die Demokraten bei den Wahlen ihre knappen Mehrheiten an die Konservativen dennoch verlieren. Was Biden zur "lahmen Ente" machen würde. Das wäre weit mehr als leichter Schnupfen.
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