Zwei Jahre Ukraine-Krieg: Und die Welt ist eine andere
Evelyn Peternel
18.02.24, 05:30Das Ende der Geschichte hat nicht stattgefunden. Oder zumindest anders als gedacht.
Als Wladimir Putin am 24. Februar 2022 seine Panzer nach Kiew schickte, da war dem Westen plötzlich klar: Francis Fukuyamas Fantasie vom "Ende der Geschichte" – dass nach 1991 die Zeit der großen Ideologien und großen Kriege vorbei ist, dass der Westen die Welt dominiert – stimmt nicht. Putin hat diesem Traum ein Ende gesetzt, 30 Jahre Prosperität und Frieden mit einem Handstreich weggewischt.
Jetzt, zwei Jahre später, scheint sich an diesen Moment kaum jemand mehr erinnern zu wollen. Die "Zeitenwende", die alle erschütterte, scheint langsam rückabgewickelt zu werden: Der Anteil jener, die sich ein schnelles Kriegsende samt Zugeständnissen an Russland wünschen, wächst und wächst. In den USA sind es 50 Prozent, die Putins Landraub akzeptieren würden, unter republikanischen Wählern fast zwei Drittel. Und in Europa halten sich Befürworter und Gegner von Zugeständnissen in Umfragen mittlerweile die Waage.
Nicht mehr das Monster
Will die Welt Putin gewinnen lassen? Vor zwei Jahren wäre die Frage ungehörig gewesen. Er war das Monster, das Unschuldige massakrieren ließ, die Bilder aus Butscha verboten jede Konzession.
Inzwischen hat Pragmatismus Einzug gehalten. Die Kosten des Krieges machen die westlichen Gesellschaften immer mürber, und ein "Weiter-so" ohne Putins billige Energie scheint unmöglich – dass Österreich noch immer zu 98 Prozent russisches Gas bezieht, spricht eine deutliche Sprache. Genau das war Putins Kalkül: Seine Bürger sind seit Jahrzehnten Entbehrungen gewöhnt, der "verweichlichte" Westen nicht. Dass die westlichen Sanktionen dank riesiger Schlupflöcher nicht wie gewünscht wirken – selbst High-Tech-Güter für Kriegsmaterial schaffen es über Zentralasien nach Russland –, spielt ihm noch in die Hände: Putin verdient weiter Unsummen mit seinen Bodenschätzen, die Rüstungsindustrie schmiert das Getriebe der Wirtschaft. Russland gibt 7,5 Prozent seines BIP für Aufrüstung aus, doppelt so viel wie die USA. Ein Drittel des Staatshaushaltes geht für Putins Kriegslust drauf.
Die Kriegsmüdigkeit im Westen ist dadurch so groß, dass Putin auch seine Botschaften wieder ungefiltert in die Welt schicken darf. Wenn er Tucker Carlson versichert, er werde Polen oder das Baltikum nie angreifen, außer sie selbst attackierten Russland, geht das als "Friedensbotschaft" um die Welt. Dass er die Invasion der Ukraine genau so begründete – angebliche Nazis dort würden Russlands Souveränität bedrohen – ist da schnell vergessen. Die Welt hat sich nach zwei Jahren Krieg verkehrt – schon wieder: Kaum jemand spricht mehr vom Unmenschen, vom Monster im Kreml. Putin darf die Welt wieder mit seiner Kreidestimme einlullen.
Wenig Heldentum mehr
Der zweite Protagonist des Krieges bekommt die andere Seite der Medaille zu spüren. Was wurde Wolodimir Selenskij als Held gefeiert, als er das US-Fluchtangebot mit den Worten "Ich brauche Munition, keine Mitfahrgelegenheit" ausschlug. Jetzt ist vom Heldentum öffentlich wenig übrig, Selenskij wird im Westen als lästig, fordernd, nervig empfunden. Das mag er tatsächlich sein, aber anderes als bitten kann er nicht: Um die Ukraine wirtschaftlich überleben zu lassen, braucht er bis zu vier Milliarden Euro – monatlich. Die Kosten an der Front sind da noch nicht mal eingerechnet: Laut jüngsten Berechnungen verursacht jeder Dollar, den Russland für den Krieg ausgibt, das Zehnfache an Kosten für Verteidigung und Wiederaufbau. Geld, das aus dem Westen kommen muss.
Noch schwieriger macht seine Überzeugungsarbeit, dass auch die Ukrainer selbst kriegsmüde werden, kaum jemand freiwillig an die Front will. Dass er dazu gravierende Fehler macht, etwa seinen Militärchef rausgeworfen hat, weil der ihm zur politischen Konkurrenz aufgestiegen ist, erschüttert das Vertrauen der verbliebenen Verbündeten im Westen: Es nährt das Bild vom korrupten Staatschef, das Putin seit ewig von ihm zeichnet. Punktesieg für den Kreml.
Putin bei seiner Rede, als er 2022 die Annexion der besetzten ukrainischen Gebiete verkündet
Kipppunkt
Ist die Welt also wirklich wieder auf dem Weg, so zu werden wie vor der Invasion? Mit einem Autokraten im Kreml, dessen Wahn zwar jedem bewusst ist, mit dem man trotzdem Deals schließen kann?
Nein, die Welt ist eine andere, ein Zurück gibt es nicht. Mit dem Krieg haben die globalen Kräfteverhältnisse einen Kipppunkt erreicht, wie es der deutsche Politologe Herfried Münkler sagte – "der Westen dominiert die Weltordnung jetzt nicht mehr." Sollte Donald Trump wieder Präsident werden, verschieben sich die Kräfte nochmals, da er sich aus den großen Konflikten raushalten wird. Und der Globale Süden neigt sich ohnehin Peking und Moskau zu: Für die Mehrheit der Menschen dort ist laut Umfragen nicht Putin der Provokateur in der Ukraine, sondern der Westen.
Die eigentliche Frage ist deshalb, wo Europa steht. Der Pragmatismus, der hier in Sachen Ukraine Einzug gehalten hat, mag kurzfristig bequem sein, langfristig aber fehlt der Plan: "Der Westen hat bis heute keine Strategie", sagte Militärexperte Carlo Masala kürzlich im KURIER. Für ihn ist klar, dass Putin mit einem Friedensschluss nicht zu einem handhabbaren Partner wird, sondern dass die russische Rüstungsmaschinerie weiterläuft – und er Europa in ein paar Jahren erneut bedrängen wird.
Die Zerstörungen des Krieges in Irpin nahe Kiew, wo bei Massakern 300 Zivilisten getötet wurden
Schon jetzt drängt Russland dorthin, wo die Ressourcenkriege der Zukunft stattfinden werden – Putins Söldner regieren in Afrikas Pseudodemokratien mit, sichern sich Bodenschätze und Güter, die die Welt für die Energiewende braucht. In den besetzten Gebieten der Ukraine ist es nicht anders: Dort schlummert im Boden, wovon Europa abhängt.
Dass die EU in der Frage ihrer Zukunft auseinandertreibt, der Osten anders denkt als der Süden, Ungarn und Slowaken sich zu Putins Kumpanen machen lassen, macht den Kontinent zusätzlich schwach. Und Schwäche hat der Kreml schon immer als Einladung verstanden – das lehrt die Geschichte, spätestens seit Putins Griff nach der Krim.
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