Mehr als 100 Millionen Zuseher
Jetzt sitzt Carlson also endlich im Kreml. Und macht genau das, was sich Putin wünscht: Er bietet ihm eine Bühne für seine historischen Ausschweifungen, mit denen er stets die Invasion der Ukraine legitimiert. Eine halbe Stunde lang hält ihm Putin einen Vortrag, lässt sich Archivdokumente bringen, spricht über Kiewer und Nowgoroder Fürsten aus dem 16. Jahrhundert, um rechtzufertigen, warum seit zwei Jahren Soldaten und Zivilisten in der Ukraine sterben. Carlson spielt dabei brav mit: „Warum sind Sie nicht schon vor 20 Jahren in die Ukraine einmarschiert, wenn die doch kein echter Staat ist?", fragt er. Ganz unironisch.
Die Kriegsverbrechen, die Grausamkeiten, die haben an diesem Abend keinen Platz. Das darf einen nicht wundern, sie spielten schon zuvor in Tucker Carlsons Universum keine Rolle. Schon auf verbreitete er ungehindert Kreml-Propaganda, da hatte er etwa drei Millionen Zuseher. Auf Elon Musks X sind es im Schnitt zwölf, und bei diesem Interview sind es bis Freitagnachmittag mehr als 100 Millionen.
Der Regisseur ist Putin
Genau das macht das Interview auch so problematisch. Carlson inszeniert sich zwar als seriöser Fragensteller, aber er bedient über zwei Stunden eigentlich nur die Sichtweisen Putins. Der Kremlchef ist der Regisseur dieses Gesprächs, das zeigt er schon zu Beginn. Ob das hier ein „ernsthaftes Gespräch“ sei oder eine Talkshow sei, fragt Putin da, und Carlson lacht nur gackernd. Ein paar Minuten zuvor hat er sich mit dem Sager blamiert, dass Putin ja „historische Ansprüche auf die Westukraine“ stelle. Eigentlich sind es der Süden und Osten.
Viel problematischer als diese Unschärfen ist aber die Botschaft, die Putin in die Welt bringen darf. Viele von Tucker Carlsons Zuschauer sind Trumpisten, eine Gruppe, die innerhalb der Republikaner immer lauter und größer wird. In deren Echokammern hallen die angeblichen „Friedensbotschaften“ Putins doppelt und dreifach wider: Statt Waffen zu liefern, sollten die USA doch einfach mit Russland verhandeln. „Sie haben zu Hause ja Besseres zu tun“, sagt Putin, er meint den Grenzschutz zu Mexiko, die Inflation, dafür würde das Geld doch eher gebraucht. Eine bessere Wahlkampfhilfe für die Republikaner, die der Ukraine ohnehin schon den Geldhahn abdrehen wollen, gibt es derzeit nicht.
"Nur wenn Polen Russland angreift"
Ein tatsächliches Gesprächsangebot ist das aber nicht, im Gegenteil. Putin sagt zwar mit freundlicher Stimme, „wir sind zum Dialog bereit“, meint, sein Krieg sei binnen Tagen vorbei, wenn die USA keine Waffen mehr lieferten. Was er aber verschweigt, und wonach Carlson auch nicht fragt, sind Gegenleistungen des Kreml: Moskau will sich ausschließlich den Sanktus der USA sichern, um die illegal annektierten Gebiete zu behalten. Ein langfristiger Frieden? Kommt in Putins Welt nicht vor.
Vor solch vergifteten Angeboten hatten Kreml-Beobachter schon im Vorfeld gewarnt. Putin werde das Gespräch nur nutzen, um sich „als bester Freund der Amerikaner“ und als „Friedensstifter“ darzustellen, schrieb Analystin und Kreml-Kennerin Tatjana Stanowaja. Allein, die Inszenierung kommt in den USA an, ebenso wie die Aussagen, dass Russland „kein Interesse an Polen, Lettland oder einem anderen Land“ habe. Dieses Zitat Putins hallte in fast allen westlichen Medien wider, eine willkommene Beruhigungspille nach zwei Jahren Krieg. Nur: Dass Putin hinzufügte, „wir würden nur angreifen, wenn Polen Russland attackiert“, zur Verteidigung also, ging dabei unter. Zur angeblichen „Verteidigung“ schickte Putin nämlich auch seine Truppen auch in die Ukraine.
„Das war großartig“
Das Interview, wenn man es überhaupt so nennen kann, verkommt damit zur gegenseitigen Wahlkampfhilfe. Für Trump ist Tucker Carlson willfähriger Erfüllungsgehilfe, ebenso für Putin – der will sich demnächst im Amt bestätigen lassen, und je mehr Rückenwind aus dem Trump-Lager kommt, umso besser.
Passend ist da auch, dass Putin das Gespräch beendet. „Sollen wir hier aufhören, oder gibt es noch was?“, fragt er. Carlson antwortet beinahe ehrfürchtig: „Nein. Ich denke, das war großartig.“
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