Als die Ungarn die "Magyarhilfer Straße" stürmten
Damals passte alles zusammen: Die Wiener Mariahilfer Straße war eine Großbaustelle – die U3 wurde in offener Bauweise errichtet. Die Umsätze der Läden gingen rapide nach unten, immer mehr Geschäftsleute mussten schließen. Und dann kam 1988, ein Jahr vor dem Fall des Eisernen Vorhangs, die Reisefreiheit für Ungarn, die diese exzessiv für grenzenlose Shopping-Touren nutzten. Über Nacht entstanden jede Menge Shops und Ramschläden, in denen auf Ungarisch für die Produkte geworben wurde. Die Einkaufsmeile wurde im Volksmund schnell „Magyarhilfer Straße“ genannt.
Bis zu 7.300 Euro Umsatz pro Tag
Zu Zehntausenden wurden die Nachbarn in Bussen herangekarrt, um endlich die vermeintlichen Errungenschaften des Westens zu erwerben, die den Menschen im Osten so lange vorenthalten worden waren. Dazu zählten vor allem Elektrowaren wie Farbfernseher, Waschmaschinen oder Mikrowellenherde, aber auch Bananen, die zuhauf gekauft wurden. Karl Panzirsch, der damalige Leiter des Marktamtes, sagte einmal gegenüber dem Standard, dass er den Tagesumsatz eines gut gehenden Wiener Ungarn-Shops zu dieser Zeit auf 100.000 Schilling, heute knapp 7.300 Euro, schätzt. Der Spiegel berichtete, dass an starken Tagen technische Artikel im Wert von fünf bis sieben Millionen Schilling (363.000 bis 509.000 Euro) nach Ungarn importiert wurden.
Langsam nahm die Konsumwut der Nachbarn ab, auch die U-Bahn wurde fertig, die Immobilienpreise stiegen, und speziell nach dem bisher letzten Umbau zum Shopping-Boulevard erinnert gar nichts mehr daran, dass die heute „Mahü“ genannte Meile einmal den Beinamen „Magyarhilfer Straße“ trug.
Und umgekehrt können sich nur noch wenige daran erinnern, dass noch in den 1970er- und 1980er-Jahren viele Ostösterreicher nach Ungarn pilgerten – um ein Pusztaschnitzel, es gab freilich auch die Wiener Variante vom Schwein, und süßen Krimsekt zum Spottpreis zu erwerben. Aber das ist eine andere Geschichte.
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