"Emanze", "Vorreiterin", "alter, weißer Mann" : Wer ist Alice Schwarzer für mich?
Eine der wohl bekanntesten und einflussreichsten Frauenrechtlerin wird am Samstag 80 Jahre alt: Alice Schwarzer. Eine erschreckend hohe Zahl, wie sie selbst meint. "Hoch befremdlich, komisch."
"Ich bin natürlich nicht der Typ Frau, der sein Alter verbergen will", sagt Schwarzer über sich. "Aber ich habe mich als junge Frau nicht in die Schublade 'junge Frau' pressen lassen, und ich lasse mich jetzt als ältere Frau auch nicht in die Schublade 'alte Frau' stecken."
Vier KURIER-Redakteurinnen aus vier Generationen - Zoe Gendron (26), Evelyn Peternel (41), Daniela Kittner (59) und Brigitte R. Winkler (75) - erzählen, wer Alice Schwarzer für sie ist und wie sie ihr Leben geprägt hat.
Die alte, weiße Frau
Überholt. Alice Schwarzer ist über 50 Jahre vor mir geboren worden, hinein in eine Gesellschaft, die vom Zweiten Weltkrieg erschüttert mit dessen Nachwehen und Verschiebungen zu kämpfen hatte. Sie war Teil einer kulturellen Revolution, deren Folgen unter anderem fairere Arbeits- und Lebensbedingungen für Frauen waren.
Ich kann mir natürlich heute nicht vorstellen, unter welchen Bedingungen die 68er-Bewegung für jeden Millimeter Gleichberechtigung kämpfen musste, den wir heutzutage als selbstverständliches Fundament für weitere Forderungen verstehen. Genauso unvorstellbar ist es für Schwarzer und ihre Zeitgenossinnen aber vielleicht auch, dass die Welt, in der wir uns heute wiederfinden, komplexer ist. Schwarz-Weiß wurde zu Grau. Es gibt keine klaren Feindbilder, gegen die es sich aufzulehnen gilt, sondern einen dicht gewobenen Teppich an Meinungen und Interpretationen.
Sich als Feministin zu verstehen, bedeutet heute für jeden etwas anderes. Die Globalisierung hat zur Überschneidung verschiedener Interessensgruppen geführt, Gleichberechtigung für Frauen ist Teil einer größeren Debatte um soziale Gerechtigkeit.
So findet man sich, wenn man in meiner Altersgruppe über Alice Schwarzer unterhält, bald in einer generellen Genderdebatte, mit Ausschweifungen in Religion und Rassismus.
Den kann man ihr auch vorwerfen: Wenn sie bei einem Protest einer jungen Frau mit Kopftuch mütterlich die Schulter streichelt und sie spöttisch ansieht, ist dies das Gegenteil von Solidarität. Schwarzer benimmt sich dann wie eine „alte weiße Frau“ – die Befreiung des weiblichen Körpers bedeutet heutzutage auch die Entscheidung, ein Kopftuch zu tragen. Ob man das gut findet oder nicht.
Alice Schwarzer ist ein Relikt. Die Gender-Debatte ist über reine Frauenrechtsthemen hinausgewachsen – und damit auch über Alice Schwarzer. Dass sie dennoch Denkanstöße gibt und sich andere an ihr abarbeiten, tut der Diskussion aber gut.
Zoe Gendron (26)
Warum eine neue, laute Schwarzer heute fehlt
Mit 17 schien mir Alice Schwarzer total überholt. Dass sie Männer reihenweise vorgeführt hatte, breitbeinig, mit Sarkasmus und scharfem Intellekt, dass sie für das öffentlich-rechtliche Fernsehen einen Film gedreht hatte, in dem sie eine echte Abtreibung zeigte, um das Thema zu enttabuisieren, dass Feuilletonkommentare abgedruckt wurden, die zu ihrer Vergewaltigung aufriefen – all das war von meinem Leben weit entfernt. Die von ihr erkämpften Rechte hatte ich ja mittlerweile, meine besten Freunde waren alle männlich, und ich hatte die Hosen an. Das war Ende der 1990er.
Jetzt, mit zwei Kindern und einer Karriere zwischen Krippe und Zoom-Calls mit Kind am Schoß ist mein Blick ein anderer. Ja, Männer dürfen und sollen in Karenz gehen, nur kaum einer tut es. Ja, Frauen sind hierzulande gleichgestellt, doch wenn es doch mal eine Frau an die Spitze schafft, wirken doch alle noch immer überrascht.
Schwarzers Schuld ist das nicht. Sie war laut genug, sie hat viel geschafft. Nur funktioniert ihr Modell heute nicht mehr: In den 70ern sorgte eine intellektuelle, scharfzüngige und auch selbstherrliche Frau für offene Münder. Jetzt wirkt sie wie aus der Zeit gefallen und stößt mit ihrer starrsinnigen Art alle vor den Kopf – vor allem dann, wenn sie Diskussionen anstößt, in denen sie nicht gerade sattelfest ist, siehe Ukraine.
Problematischer ist ohnehin die Debatte, die jetzt ohne Schwarzer stattfindet. Die dritte Welle des Feminismus widmet sich fast ausschließlich Gender- und Queer-Themen, und die verhandelt sie viel zu oft im eigenen Echoraum – damit macht sie sich zum dankbaren Opfer der Rechtspopulisten dieser Welt. Die drehen die Welt währenddessen rückwärts – Stichwort Abtreibungsverbot in den USA.
In der Realpolitik fehlen Frauen, die auf den Tisch hauen. Die nicht im beleidigten Opfergestus im „Safe Space“ verharren und sich als Zielscheibe instrumentalisieren lassen, sondern austeilen.
Schwarzer war in ihrer Zeit disruptiv. Sie hatte Witz, Schläue, Beharrlichkeit. So jemand fehlt mehr denn je.
Evelyn Peternel (41)
Durch die Kunst der Provokation
1949 veröffentlichte Simone de Beauvoir „Das andere Geschlecht“, das in der Nachkriegszeit ein Standardwerk des Feminismus wurde.
Die deutsche Publizistin und Journalistin Alice Schwarzer trug durch ihre Beziehung zu Simone de Beauvoir die Ideen der französischen Frauenbewegung in den deutschsprachigen Raum – und so auch ins verkorkste und weltabgeschiedene Österreich der 1960er-Jahre, in das ich hineingeboren wurde. Das Fernsehen steckte in den Kinderschuhen, Österreich war nicht Teil der EU, und was in Deutschland passierte, interessierte in Kärnten hauptsächlich aus der Perspektive des Sommertourismus – ob der D-Mark-Segen eh anhalten werde.
Alice Schwarzer war skandalträchtig, sie sorgte für Aufruhr in einer Gesellschaft, in der Frauen Männer fragen mussten, ob sie arbeiten gehen dürfen. Das wurde, man glaubt es kaum, erst 1975 in Österreich abgeschafft.
Das Recht auf Abtreibung zu verlangen, war in dem von der katholischen Kirche geprägten Österreich ohnehin ein Akt von Unerhörtheit.
Per Twitter & Co. macht heute jeder Gedanke in Sekunden seinen Weg um den Globus. Das Verdienst von Alice Schwarzer ist, im damaligen Medienmittelalter mittels Provokationen den Gedanken des Feminismus in die hintersten Winkel getragen zu haben.
Alice Schwarzer war gleichzeitig eine Vorhut und das publizistische Schwert der Frauenbewegung in den 1970er-Jahren.
Dann die Emma. Was zuvor ein Vorname für betuliche Großtanten gewesen war, mutierte zum Synonym für Emanzen, für Frauen, die sich nichts mehr gefallen ließen.
Angesichts dieser Historie ist es umso bedauerlicher, dass Schwarzer bei der Frauenfrage der Zuwanderer versagte. Mit ihrem kommunikativen Know-how und ihrer feministischen Expertise wäre sie prädestiniert, einen Weg zwischen kultureller Toleranz und emanzipatorischer Radikalität zu formulieren. Doch die einst moderne Frau glitt auf Pegida-Linie ab und gleicht inzwischen allzu sehr einem weißen, alten Mann.
Daniela Kittner (59)
Wie ich dank Alice zur schreibenden Emanze wurde
Alice Schwarzer. Wer kennt diesen Namen nicht? Auch heute noch! Toll!
Bekannt wurde mir Alice Schwarzer durch ihre Coverstory im deutschen Stern 1971. Darin erklärten fast 400 zum Teil sehr prominente Frauen, von Schwarzer selbst über Romy Schneider bis Senta Berger: „Wir haben abgetrieben!“ Was damals auch in Österreich noch verboten war und sowohl in Deutschland als auch bei uns zur Entkriminalisierung und zur Gesetzesänderung führte.
Schwarzers Kampf um Gleichberechtigung gefiel mir, also las ich ihr Buch „Frauenarbeit – Frauenbefreiung“. Die Erkenntnis, dass Frauen – auch in Österreich – nur mit Erlaubnis ihrer Ehemänner arbeiten und Geld verdienen durften, erschütterte mich. Danke, Alice Schwarzer. Toll, dass in Österreich die Familienrechtsreform 1975 Frauen und Männer rechtlich gleich stellte. In Deutschland mussten die Frauen bis 1976 warten.
Als Schwarzer 1977 die Emma gründete, wurde es für mich als Feministin durch ein Ereignis in Österreich sehr persönlich. Denn genau ab 1977 widmete der KURIER Frauenthemen täglich eine Seite. Also bewarb ich mich bei der Zeitung und wurde als sogenannte Emanze Mitglied der Frauenseite.
Eingestellt wurde die tägliche „Seite für die Frau“ nach zehn Jahren. Aus gutem Grund: Frauenthemen wurden in der Zwischenzeit – danke, Alice Schwarzer – als gleichberechtigt mit anderen wichtigen Themen empfunden und in die „normale“ Zeitung integriert.
2009 kam mir Schwarzer sehr nahe, als sie als Gastprofessorin an die Universität für angewandte Kunst berufen wurde. Da ich dort auch unterrichtete, führte das zu einer wunderbaren Begegnung.
Natürlich kenne ich auch Kritik, die an Schwarzers Äußerungen, Verhalten, Vorgehensweisen geäußert wurde und wird. Dazu kann ich nur sagen: Jeder Mensch macht Fehler. Ich werde es etwa Gustav Mahler nie verzeihen, dass er seiner Frau Alma das Komponieren verboten hat. Seine Musik liebe ich trotzdem über alles.
Danke, Alice Schwarzer, dass Du seit vielen Jahren zum Denken anregst!
Brigitte R. Winkler (75)
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